Die Winterchroniken von Heratia 1 - Der Verfluchte (German Edition)
zu heben.
»Es geht weiter, mein Mädchen. Nur ein bisschen noch, bald haben wir es geschafft.« Das Rushkro setzte sich langsam in Bewegung und wenige Minuten später rasten sie wieder über das Land. Mittlerweile schlängelte sich der Fluss Palsa zu ihrer Linken durch die Landschaft und die Dunkelheit brach über sie herein. Bis zum ersten Sonnenstrahl sollten sie das Dorf Hiu erreicht haben. Zumindest war es so auf der Landkarte verzeichnet, die Serrashil ihm gezeigt hatte. Delren konnte nur hoffen, dass dieser Mashdin gesprächiger war als Carath. Falls er überhaupt wusste, wo Serrashil steckte.
Natürlich weiß er es! , ermahnte sich Delren in Gedanken. Er wird doch wissen, was vorgefallen ist. Vielleicht ist Serrashil noch bei ihm …
Die Stunden bis zum Morgengrauen zogen sich wie eine gefühlte Ewigkeit dahin. Es wurde zunehmend kälter und die Landschaft immer karger, aber ansonsten änderte sich kaum etwas. Lediglich Delrens Magen protestierte lauter und lauter. Kein Wunder. Seine letzte Mahlzeit war eine kärgliche Mittagspause gewesen. Das Essen, das sie auf die Schnelle eingepackt hatten, hatte nicht lange gereicht. Es kam jedoch nicht infrage, dass sie unterwegs anhielten und sich Essen besorgten. Es würde viel zu viel Zeit in Anspruch nehmen.
Makrazas roter Mond war noch nicht untergegangen, als Delren am Horizont Rauch aufsteigen sah. Er runzelte die Stirn. Entweder war es das falsche Dorf, das sie anpeilten, oder sie waren wirklich schnell gewesen. Es dauerte nicht lange, bis sie die verschneite Siedlung erreichten. Delren gestattete es Theidre endlich, langsamer zu gehen. Sie passierten einen alten Verteidigungswall, der seinen Zweck schon lange nicht mehr erfüllte und zu großen Teilen eingestürzt war. Einen Wächter gab es nicht, ebenso wenig wie Laternen, die die Straße beleuchteten.
Ungeachtet der späten Stunde ließ Delren sein Rushkro beim erstbesten Haus halten, sprang ab und hämmerte gegen die Tür, die unter seinen Schlägen fast nachzugeben drohte. Es dauerte viel zu lange, bis hinter den Fensterscheiben ein matter Lichtschein aufflackerte und die Tür einen Spaltbreit geöffnet wurde.
»Wer ist da?«, fragte eine verschlafene Stimme.
»Wo finde ich Mashdin?«
Jemand fluchte. »Hört zu, das hier …«
»Wo finde ich Mashdin?«, wiederholte Delren mit ruhiger Stimme. Er musste seine ganze Selbstbeherrschung aufbringen, um die Tür nicht ganz aufzustoßen und die Antwort aus dem Mann herauszuwürgen.
»Folgt der Straße nach Westen. Und nun …!«
Delren zog die Tür zu und erklomm sein Rushkro. Kie blickte ihm traurig entgegen.
»Es geht ihr bestimmt gut, Delren.«
»Ich wünschte, es wäre so.« Er schnalzte mit der Zunge und Theidre setzte sich mit einem erschöpften Schnaufen in Bewegung.
»Sei doch nicht so pessimistisch.« Kie lehnte sich an ihn.
Delren erwiderte nichts darauf. Er konnte ihr keinen Vorwurf machen, dass sie ihn nicht verstand. Dieses unbestimmte Gefühl der Furcht, das ganz tief in einem saß, kannte man nur, wenn man bereits einmal einen Menschen verloren hatte, den man über alles geliebt hatte.
Sie folgten der Straße, die hinaus aus dem Dorf und weg vom Fluss führte. Erst als Delren schon der Gedanke beschlich, der Mann könnte ihn aus Rache für den unsanften Weckruf angelogen haben, erblickte er das Anwesen am Rande eines Wäldchens. Ein letztes Mal spornte er sein Rushkro an, schneller zu laufen. Ungebremst hetzten sie in den Innenhof und Delren war schneller von Theidre gesprungen, als sie anhalten konnte.
Es war weder ein Wächter noch ein Stallbursche zu sehen, weshalb Delren zu der Tür in der Mitte des Gebäudes trat und dagegen hämmerte. Kurze Zeit später wurde die Tür aufgerissen und eine alte Frau trat heraus, die Arme in die Seiten gestemmt.
»Was soll dieser Aufruhr schon am frühen Morgen? Wer seid ihr und was wollt ihr hier?«
»Ich suche nach Serrashil. Ist sie noch hier?«
Sie zog ihre Augenbrauen zusammen. »Was willst du von ihr?«
Delren trat einen Schritt näher an sie heran, sodass sie den Kopf heben musste, um zu ihm aufzusehen. Sie wich jedoch nicht vor ihm zurück, sondern funkelte ihn herausfordernd an.
»Carath ist in Jadestadt eingetroffen – ohne sie. Er wollte uns nicht sagen, wo sie steckt. Gnade euch Makraza, wenn ihr Serrashil nur ein Haar …«
»Was ist hier los?« Ein Mann schob sich an der Frau vorbei und musterte Delren abschätzend. Sein Blick wanderte weiter zu Kie und dem Rushkro, ehe
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