Die Winterprinzessin
das Holzscheit aufrecht in den Schnee und riss mir gleichfalls die Handschuhe herunter. Noch während ich sie in die Taschen stopfte, traf mich ein drittes Schneegeschoss. Jakob ging hinter einem Baumstamm in Deckung.
Mit wenigen Handgriffen hatte ich ein Arsenal von drei Schneebällen parat und nahm die Verfolgung auf. Jakob ergriff die Flucht, doch – ha! – das bekam ihm schlecht! Mein erster Wurf traf seinen Hinterkopf, der zweite streifte seine Nasenspitze, als er sich umdrehte. Mein dritter Versuch ging fehl.
Sogleich warf er sich auf mich, und plötzlich lagen wir ringend im Schnee, jauchzend und kichernd wie zwei Kinder, die sich nach einem Streit wieder zusammenrauften.
»Nimm das!«, rief ich und stopfte ihm Schnee ins Ohr.
»Und du das!« Eis drang in meinen Kragen.
Strampelnd löste ich mich von ihm und rannte los, er hinterher. Johlend brachen wir durch schwarzes Geäst, rasten ausgelassen den Hang hinunter. Vergessen war Stillers Warnung vor Wölfen, vergessen waren Stanhope, Dalberg und das Kind. Die Barriere, die Jakob und mich während der vergangenen Tage getrennt hatte, zerbrach. Jade schien so fern wie ihre Heimat, Napoleon war in Paris, alles, was zählte, waren wir beide und der Schnee, durch den wir tollten wie zwei Lausejungs am Weihnachtsabend.
Und dann war da Licht.
Es war der Schein eines kleinen Feuers, versteckt hinter einem künstlichen Wall aus Ästen, der plötzlich vor mir aus der Dunkelheit wuchs. Ich versuchte noch, mich an einem Baumstamm festzuhalten, doch mein Schwung war zu groß, mit Getöse krachte ich mitten in den Wall aus Zweigen. Ich blickte zurück und sah gerade noch, wie Jakob den Hang hinunter auf mich zustürzte, gleichfalls den Halt verlor und mit einem Keuchen auf mich prallte. Verschlungen lagen wir inmitten der Äste und versuchten stöhnend, voneinander loszukommen.
Ich war der Erste, dem es gelang, und benommen blickte ich in die Umgebung. Wir befanden uns auf halber Höhe des Hangs. Das Lagerfeuer war keines der unseren.
Jakobs Kopf reckte sich neben mir aus dem Astegewirr. Ich fühlte mich wie eine Katze, die sich beim Spielen rettungslos im Wollknäuel verknotet hat. Nur dass die Zweige scharfe Spitzen hatten, die selbst durch Mantel und Kleidung schmerzhaft in mein Fleisch stachen.
»Ist da jemand?«, fragte ich kleinlaut.
Die Feuerstelle lag völlig verlassen. Weiter hinten, in der Dunkelheit jenseits der nächsten Bäume, wieherte ein Pferd. Neben dem Feuer stak ein ausgenommenes Kaninchen auf einem Spieß, die Haut bereits goldbraun gebraten.
»Ist da wer?«, rief ich noch einmal.
Niemand antwortete.
»Jade?«, fragte ich aufgeregt.
Im selben Moment stieß mir Jakob den Ellbogen in die Rippen. »Sieh doch!«, flüsterte er und deutete auf das Feuer.
Ich begriff nicht, was er meinte.
»Der Schnee«, zischte er und begann gleichzeitig, sich aus den Ästen zu rappeln.
Und da verstand ich! Der Schnee um die Feuerstelle war zertrampelt, ganz so, als hätten mehrere – Eine Gestalt trat aus dem Dunkel.
Dann noch eine.
Und eine dritte.
Auf einen Schlag wurde mir speiübel. Die Flammen spiegelten sich auf kahlen Schädeln, flimmerten über Haut, auf der sich Buchstaben tummelten wie Ungeziefer.
Die Priester sprachen kein Wort. Sie waren, als sie uns kommen hörten, aus dem Lichtkreis gesprungen, um abzuwarten, mit wie vielen Gegnern sie es zu tun bekamen. Wie erleichtert mussten sie nun sein, da sie sahen, wie ungemein groß und gefährlich die gegnerische Streitmacht war! Ihre Blicke, völlig gefühllos und kalt, ganz ohne Zorn, Hass oder Überheblichkeit, ruhten auf uns, als warteten sie gespannt auf unsere nächsten Schritte.
»Zur Hilfe!«, schrie ich, so laut ich nur konnte.
»Dalberg! Stiller!«, brüllte auch Jakob.
Die drei Priester kamen näher. Jetzt blitzten Krummsäbel in ihren Händen. Ihre pechschwarzen Gewänder ließen sie völlig mit der Nacht verschmelzen, nur ihre Köpfe und Klingen schwebten im Dunkel. Ein unheimlicher Anblick, verstärkt noch durch ihr geisterhaftes Schweigen.
Jakob war plötzlich frei und riss mich am Arm aus den Ästen. Etwas Spitzes schrammte über mein Hosenbein, drang hindurch und zerschnitt meine Haut. Den Schmerz aber spürte ich kaum, ich war vollauf mit meinem Entsetzen beschäftigt, als die Männer wie auf ein geheimes Zeichen in Bewegung gerieten und auf uns zusprangen.
»Zurück!«, schrie Jakob. »Lauf schon, lauf!«
Ohne nachzudenken fuhr ich herum und rannte den Hang hinauf. Zum
Weitere Kostenlose Bücher