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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Priester Catays zu kämpfen vermochte, und so schien es mir wenig ratsam, in dieser Lage zu den anderen aufzuschließen.
    Jade war wohl ähnlicher Ansicht, denn sie ließ ihr Pferd herumdrehen und lenkte es den Hang hinab. Allein Jakob hatte Zweifel.
    »Sollten wir nicht zu Dalberg zurückkehren?«, fragte er.
    Die Prinzessin zügelte ihr Tier und sah sich um. »Sie scheinen großes Vertrauen in Ihre Begleiter zu haben, Herr Grimm. Was macht Sie so sicher, dass der Minister die nächsten Minuten überleben wird?«
    Jakobs Gesicht verzerrte sich. »Sie glauben – «
    »Dass die Priester ihm und seinen Leuten den Garaus machen?«, brachte Jade seine Frage zu Ende. »Möglicherweise. Vielleicht auch nicht. Ich für meinen Teil möchte nicht dabei sein, wenn es zu der einen oder anderen Entscheidung kommt.« Sie blickte wieder nach vorne und ließ ihr Pferd den Berg hinabtraben. »Ihnen beiden ist natürlich freigestellt, sich dem, was von Dalbergs Trupp übrig bleibt, anzuschließen. Oder den Priestern ins Messer zu laufen, ganz wie das Schicksal es will.«
    Ein schmerzerfüllter Schrei drang gedämpft durch die Bäume an mein Ohr, ein zweiter folgte kurz darauf. Das gab den Ausschlag.
    »Komm«, sagte ich zu Jakob und trieb den Schimmel voran. »Die Prinzessin hat Recht.«
    Sein schlechtes Gewissen war ihm deutlich anzusehen, doch zuletzt überwog seine Furcht vor den Priestern. Zudem würde er fortan keine Nacht ruhig schlafen können, wenn Jade ihm nicht verriet, was es mit den Papierfetzen auf sich hatte.
    Wir folgten ihr den Berg hinab, bis wir an seinem Fuß auf einen Waldweg stießen.
    »Wohin reiten wir?«, fragte Jakob, dem trotz allem der Gedanke nicht behagte, sich allzu weit zu entfernen.
    »Nach Nordosten«, entgegnete Jade, »auf Stanhopes Spur. Was dachten Sie?«
    Ärger verdunkelte seinen Blick. »Sie wollen die Verfolgung des Engländers fortsetzen, ohne abzuwarten, wie es Dalberg und den anderen ergeht?«
    »Ich stehe nicht in des Ministers Schuld«, erklärte sie mit einem Schulterzucken. »Zudem muss ich ihm ohnehin zuvorkommen.«
    »Sie sind nicht besser als Stanhope«, fauchte Jakob aufgebracht. »Sie wollen wie er das Kind entführen.«
    Ihre Augen musterten ihn voller Ungeduld. »Aber das wussten Sie doch! Nur dass es mir nicht um das Kind geht, sondern um die Amrita-Kumbha.«
    Jakobs Wut erstaunte mich. Freilich waren mir die gleichen Gedanken schon tausendmal durch den Kopf gegangen. Doch am Ende hatte immer wieder meine Zuneigung zu Jade triumphiert.
    Jakob aber schien sich endgültig von dieser Bürde befreien zu wollen. »Aber es gebt um das Kind! Und nur um das Kind!«
    Sie schüttelte sachte den Kopf, fast verständnisvoll. »Ich werde dem Prinzen kein Haar krümmen. Ich will ihn nur gegen das eintauschen, was Napoleon meinem Volk gestohlen hat. Ich bin im Recht, und das wissen Sie.«
    So zweifelhaft ihre letzten Worte waren, so überdrüssig war ich doch aller Diskussionen um Moral, um gut und böse. Wir hatten unsere Entscheidung getroffen, schon vor Tagen, und jetzt hieß es, dazu zu stehen. Genau das sagte ich auch Jakob.
    Er schüttelte stumm den Kopf, schien sich aber geschlagen zu geben, nicht etwa, weil ihn mein Argument überzeugte, sondern weil er wohl die Notwendigkeit einsah, dass wir von hier verschwinden mussten.
    Wir trieben die Pferde zum Galopp und preschten über den nächtlichen Waldweg nach Norden.
    »Wissen Sie, wo Stanhope hin will?«, rief ich über das Getrampel der Hufe hinweg.
    Jade sah mich nicht an, als sie antwortete: »Wie kann ich das? Aber ich vermag seine Spuren zu lesen.«
    Jakob lachte spöttisch auf. »Bei dieser Dunkelheit?« Mit einem Kopfnicken wies er zur schmalen Mondsichel empor. Ihr Schein erhellte zwar den Schnee, doch zum Spurenlesen reichte das Licht schwerlich aus, schon gar nicht aus dem Sattel eines galoppierenden Pferdes.
    »Ich habe den großen Tiger im Dschungel gejagt«, gab Jade ohne alle Überheblichkeit zurück. »Ich folgte seiner Fährte über Tage und Nächte, durch dichtes Unterholz, durch Sümpfe und die Ruinen der alten Paläste. Und ich habe sie niemals, niemals verloren.«
    »Sie haben einen Tiger erlegt?«, fragte ich beeindruckt.
    »Nein.«
    »Warum sind Sie dann seiner Spur gefolgt?«
    »Um von ihm zu lernen.«
    »Was kann man von einem Tiger lernen?«
    Jade drehte sich im Sattel um. »Die Jagd auf Menschen.«
     
    * * *
     
    Der Morgen ließ den Himmel in leuchtendem Blau erstrahlen. Wir hatten den Pferden während der

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