Die Winterprinzessin
draußen auf dem Meer, kann er jeden Kurs wählen, den er wünscht. Schlimmstenfalls muss er Dänemark umschiffen – ein Preis für die Freiheit, den ich an seiner Stelle gerne zahlen würde.«
»Vergessen Sie nicht, dass jede zusätzliche Meile die Gesundheit des Kindes gefährdet«, wandte ich ein. »Erst recht auf hoher See.«
Dalberg zuckte mit den Achseln. In seinen Augen spiegelte sich der Glanz des Feuers. »Ich bin nicht Stanhope. Ich kann nur ahnen, was in seinem Kopf vorgeht. Aber ich weiß, was ich an seiner Stelle täte. Und danach muss ich mich richten.«
Es war Jakob anzusehen, was er von dieser Strategie hielt. Auch ich selbst hatte meine Zweifel. Stanhope und Dalberg waren enge Freunde gewesen, doch ihr Vorgehen, ihre Mittel und Gedanken mochten sich grundlegend unterscheiden. Dass Dalberg sogar nach Stanhopes Verrat noch glaubte, er könne den Lord und seine Pläne richtig einschätzen, erstaunte mich.
»Vielleicht überschätzen Sie sich«, sagte Jakob ungeniert.
Dalberg schenkte ihm einen eisigen Blick, doch schon Sekunden darauf lächelte er wieder. »Haben Sie einen besseren Vorschlag, Herr Grimm?«
»Nein.«
Das überraschte selbst den Minister. »Was haben Sie dann an meinem Vorgehen auszusetzen?«
»Ich habe ein schlechtes Gefühl dabei. Vielleicht will Stanhope uns nur glauben machen, er reite hinauf zur Küste.«
»Sie befürchten, er lege seine Spuren absichtlich aus? Daran habe ich auch schon gedacht. Und doch sind sie im Augenblick die einzigen, nach denen wir uns richten können. Es ist müßig, nach anderen Routen und Zielen zu suchen, so lange wir keinerlei Anhaltspunkte haben.«
Dieser Meinung war auch ich, hielt es aber für besser, mich nicht in den Disput der beiden einzumischen.
Jakob schlug seine Decke zurück und stand auf. Wie wir alle trug er auch zum Schlafen seine vollständige Kleidung, einschließlich des zerknitterten Gehrocks. Alles war recht, so lange es nur die Kälte fern hielt.
»Wo willst du hin?«, fragte ich erstaunt.
»Ein wenig durch die Umgebung streifen. Nachdenken.«
Dalberg blickte zu ihm auf. »Mitten in der Nacht? Es ist stockdunkel.«
»Ich gehe nicht weit, nur ein paar Schritte«, entgegnete Jakob, nahm seinen Mantel auf, der ihm als zusätzliche Decke gedient hatte, und zog ihn über.
»Warte«, sagte ich. »Ich komme mit.«
Dalberg schüttelte verständnislos den Kopf. »Was muss Ihnen beiden eigentlich über den Weg laufen, damit Sie sich einmal trennen?«
Es war keine ernst gemeinte Frage, und Dalberg hatte keine Antwort erwartet. Trotzdem sagte Jakob: »Eine Prinzessin, vielleicht.«
»Eher zwei«, fügte ich schnell hinzu und lächelte mühsam.
Jakob aber blieb ernst. Ohne ein weiteres Wort stieg er über den Schneewall. Ich nahm ein brennendes Scheit aus dem Feuer und folgte ihm.
Hinter uns ertönte Stillers Ruf: »Geben Sie Acht auf Wölfe!«
»Wölfe?«, fragte ich zerknirscht.
Aber Jakob lachte nur leise und stapfte voraus in die Nacht.
* * *
»Was ist eigentlich in dich gefahren?«, fragte ich, als wir außer Hörweite der anderen waren. Bislang waren wir Seite an Seite gegangen, durch einen Hain aus Krüppelkiefern, doch jetzt beschleunigte ich meine Schritte und verstellte Jakob den Weg.
Er sah mich mit gelinder Verwunderung an und seufzte. »Merkst du denn nicht, dass Dalberg Stanhope völlig falsch einschätzt?«, fragte er leise.
Die kleine Flamme am Ende meines Holzscheites spendete nur klägliches Licht. Allein die vorderen Bäume schälten sich aus der Dunkelheit, alles andere verschwamm in der Schwärze. Auch Jakobs Gesicht wirkte seltsam formlos, ein zuckender Fleck in der Finsternis.
»Was macht dich da so sicher?«, fragte ich.
Er hob die Schultern. »Wenn ich das nur in Worte fassen könnte! Es ist ein Gefühl, eine innere Stimme, mehr nicht.«
»Dalberg schien von deinem Gefühl nicht allzu angetan.«
»Vielleicht ist das sein Fehler.«
Er zog seine Handschuhe ab, bückte sich, formte einen Schneeball – und warf ihn mir direkt gegen die Stirn!
Lieber Gott, dachte ich, die Kälte raubt ihm den Verstand.
»Jakob?«, begann ich vorsichtig und wischte mir den Schnee aus den Augen. »Glaubst du wirklich, dies sei der rechte Zeitpunkt, um – «
Ein zweiter Schneeball raste auf mich zu, flog mir genau auf den Mund.
Jakob schüttelte sich vor Lachen. Ich spuckte und fluchte, konnte aber nicht anders, als in sein Gelächter mit einzufallen.
»Du willst es nicht anders!«, drohte ich, rammte
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