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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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er auf dem Weg dorthin dutzendmal die Richtung wechseln und anderswo untertauchen können. Es war schlichtweg müßig, seine Route vorhersehen zu wollen, und so blieb uns nur, ihm weiterhin zu folgen und zu hoffen, dass wir ihn früher oder später einholen würden.
    Unser Gegner – war er das überhaupt, mein Gegner? – schien weiterhin darauf bedacht, alle größeren Ansiedlungen und Städte zu meiden. So erreichten wir am späten Nachmittag eine Herberge am Ufer der Lichte, eines schmalen Flüsschens, das sich an dieser Stelle zu einem kleinen, zugefrorenen See ausweitete. Das heruntergekommene Fachwerkhaus lag unweit des Wassers. Ein schmaler Steg an der Rückseite des Gebäudes ragte weit auf das Eis hinaus.
    Der Wirt stand am Ende des Holzsteges und schlug mit der Spitzhacke ein Loch in die erstarrte Oberfläche, offenbar um das Abendessen aus dem See zu fischen. Ein paar Münzen versilberten ihm eine Pause, in der er uns Rede und Antwort stand.
    Ein feiner Herr, ja, der habe gestern bei ihm genächtigt. Ein Kind habe er dabei gehabt, das die ganze Nacht geschrien habe wie am Spieß. Seine Frau habe gesagt, das Kleine sei krank, doch der Engländer habe niemanden an das brüllende Bündel herangelassen. Nur eine zusätzliche Decke habe er angenommen, die der Wirt ihm auf Drängen seines Weibes zu einem Freundschaftspreis überlassen habe. Zudem sei der feine Herr bei genauerem Hinsehen so fein gar nicht gewesen, denn seine Kleidung war beschmutzt und das Haar in Unordnung. Er hatte wohl bereits einen längeren Ritt hinter sich, und auch die Münzen schienen ihm auszugehen, denn nachdem er die Zeche beglichen hatte, zählte er peinlich genau den Rest seiner Barschaft.
    Der Wirt erzählte weiter, nach der Abreise des Mannes habe seine Frau verlangt, er solle die Gendarmerie rufen, denn sicher sei das Kind irgendwo entwendet worden und der seltsame Fremde ein Schurke. Das aber war dem guten Mann dann doch zu viel des Aufwandes, denn die nächste Ortschaft und mit ihr die Obrigkeit waren Meilen entfernt. Er habe zu seinem „Weib gesagt, das alles sei nicht ihre Sache, sie solle sich lieber sputen und den Schankraum wischen, wie es sich gehöre.
    Jade, die der Wirt während seines Berichts immer wieder mit verstohlener Gier betrachtet hatte, schenkte ihm nach seinen letzten Worten einen derart giftigen Blick, dass er es vorzog, fortan zu schweigen. Aber er schien uns ohnehin alles erzählt zu haben, was er wusste, und so ließen wir ihn auf seinem Steg zurück, wo er sich brummelnd weiterhin mühte, ein Angelloch ins Eis zu brechen.
    »Der Prinz ist also krank«, stellte Jakob fest, während wir uns auf unseren Pferden von See und Gasthaus entfernten. Seine Stimme klang verschnupft; wie wir alle kämpfte er mit einer Erkältung. Selbst Jade, die der Fakirzauber warm hielt, litt unter Heiserkeit und brach gelegentlich in heftiges Niesen aus.
    »Wenn das Kind stirbt, ist Stanhopes Plan fehlgeschlagen«, sagte ich.
    »Und die Amrita-Kumbha wird nie mehr nach Rajipur zurückkehren«, fügte Jade sorgenvoll hinzu. »Wir müssen die beiden einholen, bevor das Kind größeren Schaden nimmt.«
    »Und dann?«, fragte Jakob bissig. »Sie werden sich beeilen müssen, dem Kaiser Ihre Forderungen zu übermitteln, sonst stirbt Ihnen Ihre Geisel unter den Händen. Oder kann ein Fakir auch eine Lungenentzündung heilen?«
    Jade schüttelte den Kopf. »Nein, das vermag ich nicht. Ich kann dem Kind nur Wärme geben.«
    »Und ein paar Rauschkräuter, nehme ich an«, fauchte Jakob halblaut.
    Die Prinzessin funkelte ihn wütend an. »Statt Streit zu suchen, sollten Sie Ihrem Pferd lieber die Sporen geben«, rief sie und hieb ihrem Hengst die Fersen in die Flanken.
    Ich sah Jakob vorwurfsvoll an, doch er zuckte nur die Achseln. Dann ließen auch wir unsere Schimmel vorwärts sprengen.
    Die Landschaft, durch die wir ritten, hatte sich seit Karlsruhe kaum verändert. Dichter Wald wucherte rechts und links der Wege, gelegentlich durchbrochen von verschneitem Ackerland. Allein die Berge waren hier höher, die Hänge steiler und die Täler noch dunkler. Es war eine hübsche, idyllische Gegend. Einsame Hütten, die an Felswänden lehnten; sprudelnde Bäche, die sich ihren Weg durchs Eis gruben; und immer wieder aufgeschrecktes Wild, das bei unserem Näherkommen Reißaus nahm.
    Der Schnee auf den Wegen war keineswegs festgetreten, und doch sah man, dass vor uns mehr als ein Reiter hier entlanggekommen war. Wie es Jade trotzdem immer wieder

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