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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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mochte. Napoleon selbst hatte zwei Söhne und zwei Töchter, drei davon adoptiert. Jedes Kind, das aus den Ehen jener vier hervorgehen mochte, war nicht in Gold und Diamanten aufzuwiegen. Kein Wunder, dass seine Zukunft so hart umfochten war.
    Dalberg nutzte unser erstauntes Schweigen und fuhr fort: »Als Sie in den Saal kamen, waren wir gerade dabei, den Mönchen den Tod des Kindes glaubhaft zu machen. Für die Welt ist der Prinz von Baden tot und beerdigt. Und dabei muss es vorerst bleiben.«
    Er stand auf und geleitete uns zur Tür. »Versprechen Sie mir, dass Sie sich in Ihre Zimmer zurückziehen. Ich werde Wachen dorthin beordern, um weitere Anschläge auf Sie zu vereiteln.«
    »Eines drängt es mich noch zu erfahren«, bat Jakob nachdenklich. »Sie sagten bei unserem ersten Gespräch, der Großherzog selbst sei überzeugt, dass sein Sohn nicht mehr lebt. Weshalb werden dann Bewerber wie diese Mönche zu ihm vorgelassen?«
    »Sie haben sich selbst die Antwort gegeben, Herr Grimm«, erwiderte Dalberg. »Gibt es etwas, das überzeugender ist als die Tränen eines Vaters um sein Kind? Tränen sind die machtvollsten Verbündeten der Lüge – vor allem, wenn der Lügner selbst nicht weiß, dass er die Unwahrheit sagt. Jeder, der dem Großherzog begegnet, muss in der Gewissheit von ihm scheiden, dass sein Sohn gestorben ist.« Dalberg gestattete sich ein zaghaftes Lächeln. »Seien Sie versichert, diese Jesuiten werden dabei keine Ausnahme machen.«
    Und während ich noch die geistvolle Tücke dieses Mannes bewunderte, senkte Dalberg seine Stimme zu einem hauchdünnen Flüstern. »Heute Abend, meine Herren, werde ich jemanden zu Ihnen schicken, dem ich vertraue. Er wird Sie zu einem geheimen Treffpunkt führen. Und dann, das verspreche ich Ihnen, werden Sie mehr Antworten erhalten, als Ihnen lieb sein mag.«
     
    * * *
     
    Die Zusammenhänge waren weit weniger kompliziert, als sie auf den ersten Blick erscheinen mochten. Stephanie Beauharnais war die Adoptivtochter Napoleons. Um das Herzogtum Baden an Frankreich zu binden, hatte der Kaiser sie mit dem Großherzog Karl verheiratet. Der einzige Sohn der beiden war somit ein direkter Erbe des Kaisers. Napoleon musste geahnt haben, welcher Kampf um das Kind entbrennen würde, und so ließ er den Tod des Kleinen vortäuschen, um ihn fraglos irgendwann später, wenn er die Zeit für gekommen hielt, wie ein Kaninchen aus dem Zylinder zu zaubern. Nur so konnte ich mir die Vorgänge und Dalbergs Verwicklung in dieselben erklären. Der immense Aufwand, den der Kaiser um den kleinen Sohn des Großherzogs betrieb, bedeutete aber noch etwas anderes – dass nämlich seine Entscheidung hinsichtlich seines Nachfolgers bereits gefallen war.
    Jener kleine Junge, den ich zu Schläue und Gelehrsamkeit erziehen sollte, war der zukünftige Herrscher Europas!
    Mag es da wundernehmen, dass ich meine eben erst gefasste Entscheidung, Karlsruhe den Rücken zu kehren, umgehend zurücknahm? Mir sollte es vergönnt sein, den mächtigsten Mann der Welt zu formen. Vergessen waren die Gefahren, vergessen sogar die Qual im Kerker der Odiyan. Mit einem Mal fühlte ich mich als eine der wichtigsten Figuren auf dem Spielbrett des Weltgeschehens.
    »Werde ja nicht größenwahnsinnig«, knurrte Jakob, als ich meine Gedanken aussprach. Er besaß von jeher die Gabe, durch Logik und Vernunft selbst die schönsten Träume zunichte zu machen. Oh, dafür hasste ich ihn!
    Wir waren natürlich nicht in unsere Zimmer zurückgekehrt. Zwei Gründe sprachen dagegen: Zum Ersten würden uns unsere Gegner dort als Erstes suchen, und es war kaum zu bezweifeln, dass sie einen Weg in das spärlich bewachte Schloss finden würden. Der zweite Grund war, dass Jakob sich in den Kopf gesetzt hatte, den merkwürdigen Doktor Hadrian genauer unter die Lupe zu nehmen. Es gefiel keinem von uns, dass Jade das Dienstmädchen Nanette in seine Obhut zurückgegeben hatte. Nicht, dass wir fürchteten, er paktiere mit dem Feind – aber es war etwas Seltsames an diesem Mann, und daran trug nicht allein die bizarre Schmetterlingssammlung in seinem Haus die Schuld.
    Als wir durch den Park zum Waldrand stapften, spürte ich, dass die Strapazen der vergangenen Nacht noch lange nicht überwunden waren. Das Gehen im hohen Schnee trieb mich heute noch schneller zur Erschöpfung, und manchmal war mir, als schlage mein Herz unregelmäßiger und schneller als sonst. Ich schwieg jedoch darüber, ich wollte Jakob nicht damit belasten, trotz aller

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