Die Winterprinzessin
*
»Was, zum Teufel, haben Sie sich dabei gedacht?« Dalberg schüttelte verständnislos den Kopf. »Der Großherzog ist außer sich. Er ist ein jähzorniger Mann, glauben Sie mir.«
Wir saßen in Dalbergs Bureau, endlich allein mit ihm. Die Wachen hatten sich schnell überzeugen lassen, dass durch uns keine Gefahr drohte. Weit schwieriger aber war es gewesen, den merkwürdigen Engländer abzuschütteln. Ganz zu schweigen von Dalbergs Sekretär, der mit hämischem Grinsen um uns herum geschlichen war wie ein Hund um den Küchentisch.
»Ich kann die Dinge für Sie zurechtrücken«, fuhr Dalberg fort, »und zweifellos wird mir keine andere Wahl bleiben. Aber ich will, dass Sie mir sagen, was dieser Auftritt zu bedeuten hatte.«
Seine anfängliche Wut war verraucht, geblieben war lediglich Resignation. Keiner von uns konnte etwas an der Lage ändern.
»Wir wollten mit Ihnen sprechen«, sagte Jakob, der sich Mühe gab, nicht so kleinlaut zu klingen, wie er sich fraglos fühlen musste.
Ich selbst wäre am liebsten im Boden versunken. Von unserer beider Überzeugung, das Richtige zu tun, war nichts als Beschämung geblieben. Und Angst. Angst vor den drei Kreaturen im Thronsaal.
»Diese Männer – «, begann ich, wurde aber von Dalberg unterbrochen.
»Ja, ja, das sagten Sie bereits. Mehrfach!«, fuhr er dazwischen. »Aber ich versichere Ihnen, von diesen drei droht niemandem Gefahr. Es sind Jesuiten, Männer der Heiligen Schrift. Sie waren lange Jahre als Missionare im Ausland und haben sich den Sitten der Eingeborenen angepasst, zu missionarischen Zwecken.«
Jakob blickte erstaunt auf. »So haben die Ihnen ihre Tätowierungen erklärt?«
»Sollte ich an ihrer Aufrichtigkeit zweifeln?«
Und wie er das sollte! Doch es hatte wohl zu diesem Zeitpunkt keinen Zweck, ihm das klarzumachen. Er würde ohnehin kein Verständnis dafür aufbringen. Wäre doch nur Goethe bei uns gewesen! Er hätte die Dinge ins rechte Licht rücken können. Ihm hätte Dalberg Glauben geschenkt.
»Es ist während der beiden letzten Tage einiges geschehen«, begann Jakob, doch der Minister unterbrach ihn.
»Es tut mir Leid, Herr Grimm, aber Sie müssen mir glauben, dass ich in diesem Augenblick sehr wenig Zeit habe. Ich muss schleunigst zurück zum Großherzog und ihm eine plausible Erklärung für Ihr Verhalten vortragen – eine kurze Erklärung. Deshalb möchte ich Sie bitten, nicht allzu weit auszuholen.«
Dalbergs Drängen machte mich wütend, doch ich bezwang meine Gefühle und blieb äußerlich gelassen. »Ich wurde entführt und gefangen gehalten«, sagte ich stattdessen mit betonter Ruhe. »Ein paar sehr merkwürdige Personen zeigen Interesse am Sohn des Großherzogs. Eine Horde wild gewordener Inder streift durch die Wälder. Und soeben gab uns die Gräfin Hochberg deutlich zu verstehen, wie teuer ihr der Wunsch ist, dass mein Bruder und ich die Stadt verlassen.«
Dalberg lehnte sich in seinen Stuhl zurück, schloss mit einem tiefen Seufzer die Augen und schüttelte den Kopf. »Die Gräfin! Ich hätte es ahnen müssen. Es gibt nichts, in das diese Frau sich nicht einmischt.«
Jakob gab sich keine Mühe, die Zweifel in seiner Stimme zu verheimlichen. »Auf mich machte die Gräfin den Eindruck, als habe sie guten Grund für ihre Beharrlichkeit.«
Der Minister atmete tief durch, dann schnellte er mit einem Ruck nach vorne. Er beugte sich mit beiden Ellbogen auf die Schreibtischkante und starrte Jakob eindringlich an. »Natürlich hat sie einen Grund. Und ich verspreche Ihnen, meine Herren, dass Sie ihn heute Abend erfahren werden. Lassen Sie mir noch Zeit bis dahin, dann will ich Ihnen alles offenbaren.«
Ich hieb mit der Faust auf den Tisch. »Herr Minister, ich glaube, Sie haben mir nicht zugehört. Ich wurde entführt! Man hat mich gefangen gehalten! Und das alles, um den Aufenthaltsort des Kindes zu erfahren.«
Tatsächlich schien Dalberg erst jetzt den Sinn meiner Worte zu begreifen. »Entführt …?«, wiederholte er kraftlos. Seine müden Augen weiteten sich. »Verzeihen Sie mir, ich bitte Sie. Ich habe seit drei Tagen kaum mehr geschlafen. Die Ereignisse … aber was rede ich! Schnell, Herr Grimm, erzählen Sie, was vorgefallen ist.«
Das tat ich und versuchte nicht länger, meinen Zorn und meine Entrüstung zu überspielen. Dalberg sollte wissen, was ich erlitten hatte. Es war an ihm, es wieder gutzumachen.
Bevor ich die Umstände meiner Befreiung schildern konnte, fiel Jakob mir ins Wort: »Zum Glück gelang es
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