Die Winterprinzessin
Vorbehalte, die ich aufgrund seiner undurchsichtigen Beziehung zu Jade verspürte. Die letzten Stunden, die Begegnungen mit der Gräfin Hochberg, mit dem Minister und nicht zuletzt der Anblick von Spindels Brüdern hatten meine Wut auf Jakob verrauchen lassen. Ich war enttäuscht, sicher, doch mein Zorn war verschwunden.
Es dunkelte, als wir den Waldrand erreichten und den Weg zu Hadrians Haus einschlugen.
»Wenn diese drei wirklich Jesuiten waren, noch dazu aus Indien«, sagte Jakob grübelnd, »in welcher Beziehung stehen sie dann zu Spindel, der doch ein Lakai des Armeniers war?«
Er erwartete keine Antwort darauf, und so schwieg ich. Ich war ebenso ratlos wie er.
Vielleicht ist es an der Zeit, unsere Erlebnisse mit erwähntem Spindel zu rekapitulieren. Siebeneinhalb Jahre zuvor, im Frühling des Jahres 1805, war ein blutiger Kampf um eines der größten Geheimnisse der Menschheit entbrannt: den Stein der Weisen. Die Rezeptur jener Substanz, die Quecksilber in Gold verwandeln und Menschen Unsterblichkeit schenken soll, wurde in den unveröffentlichten Seiten von Schillers einzigem Roman Der Geisterseher vermutet. Mehrere Geheimgesellschaften, vor allem aber Rosenkreuzer und Illuminaten, stritten um Schillers Manuskript, das durch Zufall in unsere Hände gelangt war. Von besonderer Grausamkeit zeigten sich dabei der Führer eines Seitenarms der Rosenkreuzer, der Armenier, und sein Gefolgsmann Spindel. Dieser jagte uns mit Hilfe seiner Söldner von Weimar über Warschau bis in das mysteriöse Bibliotheksschloss Vogelöd. Dort erst ereilte ihn sein Schicksal, als eine unserer Verbündeten, die Gräfin von der Recke, ihm eine Kugel in den tätowierten Schädel schoss. Auch der Armenier hatte den Kampf um das Manuskript nicht überlebt.
Und der Stein der Weisen? Nun, die ganze Geschichte stellte sich zuletzt als jener Irrtum heraus, den wir von vornherein darin hätten sehen müssen. Wir alle, Goethe eingeschlossen, waren durch die Aussicht auf den Stein verblendet worden. Am Ende kam trotz allem die Wahrheit ans Licht: Den Stein der Weisen gab es nicht. Geblieben war uns nichts als Beschämung und eine seltsam vage Freundschaft zu dem alten Dichterfürsten von Weimar.
Auch Goethe hatte damals der Vermutung Ausdruck verliehen, es könne sich bei Spindel um einen ehemaligen Jesuiten handeln, der sich, vom Glauben abgefallen, aufs bezahlte Töten verlegt hatte. Allerdings, so sagte er damals, wisse niemand Genaues über diese gespenstische Kreatur, die schon durch vielerlei Kriege und Konflikte gegeistert war und trotz ihrer augenscheinlichen Treue zum Armenier zuvorderst ihre eigenen Ziele verfolgte.
Und nun, so viele Jahre später, waren wir vielleicht auf bestem Wege, doch noch mehr über Spindels Vergangenheit zu erfahren. Schlimmer noch: Wir schienen es gleich mit dreien wie ihm zu tun zu bekommen. Es war, als sei unser schlimmster Feind gestärkt zu neuem Leben erwacht.
Das Haus des Doktors wirkte verlassen. Nichts rührte sich. In der hereinbrechenden Dämmerung lag es still und düster inmitten des Eibenkranzes. Ich wollte gleich an die Haustür treten und klopfen, doch Jakob hielt mich an der Schulter zurück.
»Warte«, sagte er zögernd.
Als hätte das Schicksal seinem Misstrauen Gewicht geben wollen, ertönte in diesem Augenblick der Schrei einer Frau. Nicht sehr laut, aber lange anhaltend und durchsetzt von schmerzerfülltem Stöhnen und Keuchen.
»Das kommt von der Rückseite«, rief ich aufgeregt, doch Jakob war bereits losgelaufen. Ich folgte ihm so schnell ich konnte und holte ihn gerade noch ein, ehe er aus dem Schatten einer Eibe um die Hausecke treten konnte.
»Bist du wahnsinnig?«, fuhr ich ihn an. »Was, wenn es eine Falle ist?«
»Eine Falle?«, entgegnete er ungeduldig. »Das war Nanette, die da geschrien hat.«
»Dein Heldentum in Ehren. Aber können wir nicht weniger auffällig nachsehen, was da geschieht?«
Zähneknirschend gab er nach, und so schlichen wir langsamer und weniger überstürzt bis zur Rückseite. Der kleine Garten des Hauses, der weiter hinten an den Waldrand stieß, war mit ungepflegten Sträuchern und Büschen bewachsen. Zwischen ihnen liefen wir gebückt bis unter ein beleuchtetes Fenster unweit einer Hintertür. Von dort ertönten die Schreie.
Vorsichtig blickten wir übers Fensterbrett ins Innere. Das Glas war einen Spaltbreit geöffnet. Ein warmer, säuerlicher Geruch wehte uns entgegen.
Auf einer Bettstatt lag Nanette und gebar ihr Kind.
Ich hatte
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