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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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waren wieder allein im Garten. Allein mit unserem Entsetzen.
    »Komm!« Jakob sprang aus dem Gebüsch und eilte mit wenigen Schritten zurück zum Fenster. Wenige Herzschläge später hockten wir zitternd unterhalb des Fensterbretts und blickten in Hadrians Entbindungszimmer. Der Doktor stand über Nanette gebeugt und nahm uns mit seinem Rücken die Sicht.
    »Was tut er?« Meine Stimme war kaum ein Hauch. Das Grauen saß mir tief in den Knochen.
    Jakob gab keine Antwort. Kniff nur die Augen zusammen.
    »Was tut er?«, fragte ich noch einmal.
    Jakob richtete sich ruckartig auf. »Großer Gott!«
    Und mit diesen Worten stieß er das angelehnte Fenster nach innen und sprang in kühnem Schwung ins Haus. Hadrians Kopf zuckte herum. Was blieb mir übrig? Ich folgte meinem Bruder.
    Dann sah auch ich, was der Doktor hatte tun wollen. Noch immer hielten seine Hände das Glas, aus dem er der bewusstlosen Nanette eine milchige Flüssigkeit hatte einflößen wollen. Gift! Es konnte nichts anderes sein. Die Lippen des Mädchens glänzten feucht.
    Jakob stürzte sich auf ihn, er fiel über ihn her wie ein rasendes Tier. Noch nie hatte ich meinen Bruder so aufgebracht gesehen, und ich ließ mich von seiner Wut mitreißen. Hadrian ging mit einem Aufschrei zu Boden. Jakob holte aus und schlug ihm die Faust ins Gesicht, ich stieß ihm den Fuß in die Rippen, einmal, zweimal, während Jakob wie ein Wahnsinniger auf ihn einprügelte. Fraglos hätte man keinem von uns solchen Zorn zugetraut.
    Augenblicke später war es vorbei. Keuchend traten wir einen Schritt zurück. Hadrian lag gekrümmt am Boden, seine Lippen waren aufgeplatzt, Blut lief über sein Kinn, ein Speichelfaden perlte zur Erde. Er weinte – ach was, er heulte wie ein kleines Kind.
    Jakob beugte sich besorgt über Nanette. Ihre Brust hob und senkte sich. Ich nahm das Glas und hielt es gegen das Licht einer Öllampe. Die Ränder schienen trocken. Wir waren gerade noch rechtzeitig gekommen.
    Hadrian streckte eine Hand nach mir aus, unsicher, bebend. Gleichzeitig schob er sich mit der anderen auf mich zu.
    »Geben Sie ihr … das Medikament!«, keuchte er unter Tränen.
    »Medikament?«, stieß ich aus. »Sie wollten das Mädchen vergiften!«
    »Nein, nein!«, schrie der Doktor. »Es ist … Medizin! Sie wird sterben, wenn sie sie nicht bekommt.«
    Ich wechselte einen Blick mit Jakob. Wir waren uns einig, nicht auf diese Lüge einzugehen.
    »Glauben Sie mir doch!« Hadrian packte mit einer Hand den Rand der Bettstatt und versuchte vergeblich, sich daran hochzuziehen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht fiel er zurück auf den Boden. »Die Geburt …«, stöhnte er, »wurde … künstlich eingeleitet. Mit einer starken Droge. Nanette wird sterben, wenn sie nicht … das Gegenmittel …«
    Zögernd hob ich das Glas unter die Nase. Die Flüssigkeit war völlig geruchlos.
    Hadrians Worte waren zwischen seinen Schluchzern jetzt kaum mehr zu verstehen. Er weinte nicht aus Schmerz. Erneut versuchte er, sich hochzuziehen, doch vergeblich.
    »Bitte!«, flehte er. »Sie stirbt, wenn sie nicht … die Medizin, bitte!«
    Jakob blickte ebenso ratlos drein wie ich selbst.
    »Bitte!«, rief der Doktor noch einmal. Sein Keuchen ging jetzt schneller, er packte mein Hosenbein, zog daran. Es war ein grauenvoller Anblick, diesen Mann so vollkommen hilflos am Boden zu sehen. Und da fasste ich meinen Entschluss. Ich legte das Glas an Nanettes Lippen, drückte sie einen Spaltbreit auf und ließ die Flüssigkeit sachte hineinrinnen. Ich hoffte nur, sie würde sie schlucken und nicht daran ersticken.
    »Wilhelm …«, begann Jakob, verstummte aber gleich wieder. Trotz aller Zweifel akzeptierte er meine Entscheidung. Wie hätte auch einer von uns mit Gewissheit zu sagen vermocht, was das Richtige war?
    Hadrian ließ mein Bein los. »Danke«, stöhnte er. »Großer Gott, danke!«
    »Sparen Sie sich Ihren Dank«, stieß Jakob angewidert hervor. »Was Sie getan haben, wird Sie an den Strang bringen.«
    Hadrian kroch zur Wand und lehnte sich mühevoll dagegen. Seine Lippe blutete noch immer. Eine Auge schwoll an. »Ich habe es doch nur für sie getan.«
    »Für uns?«, fragte Jakob voller Häme.
    »Er meint das Mädchen«, sagte ich.
    Jakob lachte gallig. »Sie wird Ihnen bestimmt sehr dankbar sein für das, was Sie ihr angetan haben. Ihr und ihrem Kind.«
    »Ich konnte doch nicht anders«, entgegnete der Doktor.
    »Wissen Sie, was die Odiyan mit Neugeborenen tun?«, fragte Jakob bösartig und trat auf den

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