Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
Vom Netzwerk:
Doktor zu. Ich glaubte schon, er wolle ihn am Kragen packen, doch dann ließ er ihn einfach am Boden sitzen. »Soll ich es Ihnen verraten?«
    »Jakob!« Ich ging dazwischen und deutete auf Nanette. »Wer weiß, ob sie uns hören kann.«
    Hadrian schüttelte schwach den Kopf. »Sie ist bewusstlos … kann nichts hören. Sie wird erst morgen wieder erwachen.«
    »Wie konnten Sie das tun?«, fragte ich.
    Hadrian begann wieder zu heulen. »Sie haben mir gedroht. Nein, nicht mir – Nanette. Sie sagten, sie würden sie foltern und töten und das Kind ohnehin bekommen. Ich … ich hatte mich trotzdem geweigert. Dann entführten sie sie. Da brach ich zusammen. Es war wie ein Geschenk Gottes, als man sie mir unversehrt zurückbrachte. Aber dann verschwanden plötzlich die beiden Wachen, diese Inder. Einer der Männer mit den Masken kam ins Haus, sagte, die beiden seien tot und Nanette würde es ebenso ergehen, später, wenn sie mit ihr fertig wären. Ich könne es nur verhindern, wenn ich dafür sorgte, dass sie das Kind bekäme. Heute noch. Sonst nichts. Nur … nur das Kind.« Er vergrub das Gesicht in den Händen. »Ich gab Nanette die Droge und sorgte dafür, dass das Kind zu früh zur Welt kam. Die Betäubung ist eine Nebenwirkung der Mixtur. Nanette wusste von nichts. Natürlich nicht.«
    »Und später wollten Sie ihr erzählen, sie habe plötzlich das Bewusstsein verloren, das Kind sei tot geboren worden und Sie hätten den Leichnam bereits fortgeschafft.« Jakobs Stimme war voller Verachtung. »Ist es nicht so?«
    Hadrian nickte, ohne die Hände vom Gesicht zu nehmen.
    »Für Sie war das alles sehr einfach, was?« Jakob spie ihm die Worte ins Gesicht. »Aber was die Mutter dabei empfindet – «
    »Sie begreifen nicht«, entgegnete Hadrian tränenerstickt. »Sie begreifen noch immer nicht.«
    Jakobs Tonfall blieb eisig. »Ich wüsste nicht, was – «
    Die Stimme des Doktors klang hoch und misstönend: »Nanette war die Mutter. Aber ich, Herr Grimm, war der Vater. Dieses Kind war meine Tochter!«
    »Gütiger Himmel«, entfuhr es mir. »Sie haben Ihr eigenes Kind diesen Bestien übergeben?«
    Jakob war sprachlos.
    Hadrian kreischte auf. »Ich habe es für Nanette getan! Herrgott, Sie sind zu jung, alle beide. Sie kennen die Liebe nicht! Ich habe es nur aus Liebe zu Nanette getan! Diese Kreaturen hätten sie gefoltert, geschändet, ermordet. Sie stellten mich vor die Wahl – Nanette oder das Kind. Wie hätten Sie sich da entschieden?«
    Jakob wies jeden Gedanken an eine Antwort weit von sich. »Wir werden die Gendarmerie verständigen«, sagte er fest, doch ich wusste, dass die Härte in seiner Stimme trog.
    »Warum sind Sie nicht selbst zu den Gendarmen gegangen«, fragte ich den Doktor, »oder haben Schutz im Schloss gesucht?«
    Hadrian lachte hysterisch auf. »Schutz im Schloss? Sie spaßen, Herr Grimm. Glauben Sie denn, ich hätte es nicht versucht? Ich wandte mich an den Befehlshaber der Wache. Aber er sagte mir nur, was ohnehin jeder weiß: Es gibt keine Soldaten in Karlsruhe. Die Hand voll, die noch da ist, hat Besseres zu tun, als sich um meine Sorgen zu kümmern. Und die Gendarmerie ist machtlos angesichts all der Überfälle. Seit Bonaparte die badischen Soldaten ausgehoben hat, ist dieses Land ungeschützt und vollkommen hilflos. Unsere Kräfte wurden bei Borodino und Semenowskoje aufgerieben – das ist es, was uns die großartige Regierung Napoleons eingebracht hat. Nichts als Leid und Elend und die ständige Angst vor Gesetzlosen.«
    »Und Sie glauben, ein Pakt mit ihnen macht die Dinge besser?«, fragte Jakob. Es war ein fadenscheiniger Einwurf. Der Doktor hatte nur seine Geliebte retten wollen, vielleicht auch sich selbst, und das mit den Mitteln, die ihm zu Gebote standen. Gegen meinen Willen brachte ich Verständnis für sein Tun auf.
    Hadrian schüttelte resigniert den Kopf. »Sie wollen einfach nicht begreifen. Es ist zwecklos.«
    Jakob stand da und wusste nichts mehr zu sagen. Es war nicht an uns, nach der Moral des Doktors zu fragen. Ein Richter würde sich damit beschäftigen.
    »Hören Sie«, sagte Hadrian plötzlich, »ich will Ihnen etwas vorschlagen. Sie bewahren Stillschweigen über das, was geschehen ist, und ich werde Ihnen dafür einen Hinweis geben. Etwas, das Ihr Leben retten kann.«
    Jakob starrte ihn voller Entrüstung an. »Sie glauben nicht ernsthaft, dass wir so etwas in Erwägung ziehen.«
    Hadrian stemmte sich an der Wand hoch und taumelte an uns vorüber zu Nanette, die immer

Weitere Kostenlose Bücher