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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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den Thron verlieren. Man wird sie verbannen oder gar hinrichten, so will es das Gesetz. Sie sehen, meine Herren, alles ist bis ins kleinste Detail vorausgeplant.«
    Atemlos war ich den Ausführungen Dalbergs gefolgt. Die Größe dieses Plans erschreckte und faszinierte mich zu gleichen Teilen. Mehr noch aber beschäftigte mich meine eigene Rolle in diesem Intrigenspiel.
    »Was also erwarten Sie nun von mir?«
    »Falls Sie nach allem, was Sie jetzt erfahren haben, immer noch für den Posten zur Verfügung stehen, dann werden Sie morgen Früh eine Kutsche besteigen und von ihr an jenen geheimen Ort gebracht werden, wo sich der Prinz und seine Amme aufhalten. Dort werden Sie eine Weile mit ihm leben und Einfluss auf die allerersten Regungen seines Geistes nehmen. Später wird es vielleicht möglich sein, mit ihm und der Amme in Ihre Heimat zu reisen. Sie könnten vorgeben, in der Zwischenzeit eine Familie gegründet zu haben. Niemand wird daran zweifeln, dass es sich bei dem Kind um Ihren Sohn handelt. Sie werden ihn großziehen, bis es an der Zeit für ihn ist, hierher zurückzukehren und sein vorbestimmtes Erbe anzutreten. Sollten Sie dieses Angebot annehmen, was ich sehr hoffe, wird es Ihnen nie mehr im Leben an irgendetwas mangeln. Der Kaiser kann sehr großzügig sein.«
    Ich wollte, trotz aller Unruhe, sogleich meine Bereitschaft versichern, dem Kaiser zu Diensten zu sein, doch Jakob kam mir wieder einmal zuvor. »Etwas aber verschweigen Sie uns«, warf er ein und hielt zugleich meinem erstaunten Blick stand. »Denn wie steht es um diese anderen Parteien, die auf das Kind aus sind? Was ist mit den drei Tätowierten? Und, mehr noch, welche Rolle spielen die Vogelmänner, die meinen Bruder verschleppten?«
    »Dergleichen wird nicht mehr geschehen«, versicherte Dalberg eilig. »Ich habe den Kaiser über die Vorgänge in Kenntnis gesetzt. Bald schon wird eine Kompanie Soldaten eintreffen, die Ihren Entführern die gerechte Strafe zukommen lassen wird. Und was diese Mönche angeht – sie sind bereits wieder abgereist. Der Großherzog konnte sie, wie geplant, vom schmerzlichen Verlust seines Sohnes überzeugen.«
    Freilich trug all das kaum dazu bei, mich von der Ungefährlichkeit der gesamten Unternehmung zu überzeugen. Trotzdem wollte ich, musste ich das Angebot endlich annehmen.
    »Eines noch«, bat Jakob.
    Dalberg holte tief Luft. »Ja?«
    »Haben Sie je vom Quinternio der Großen Fragen gehört?«
    Etwas Merkwürdiges geschah. Dalberg wurde so bleich, als sei ihm der Gehörnte persönlich erschienen. Einen Augenblick lang stand sein Mund vor Verwunderung offen, schloss sich erst nach einer Weile wieder, um schließlich ein paar unsichere Worte zu formen.
    »Sprechen Sie diesen Begriff nie wieder aus! Niemals, hören Sie?« Seine Stimme klang, als hätte ihm jemand Schnee in den Hals gestopft, kalt und brüchig wie Eis.
    Jakob, selbst überrascht angesichts der Wirkung seiner Worte, beharrte: »Was hat es mit dem Quinternio auf sich? Was wissen Sie darüber?«
    »Still!«, befahl Dalberg nun eindeutig schärfer. Bemüht, sein Entsetzen abzustreifen, wandte er sich direkt an mich. »Nehmen Sie das Angebot an, Herr Grimm?«
    »Ja … ja, natürlich«, stammelte ich verdrossen.
    Dalberg atmete auf. »Der Kaiser wird das zu schätzen wissen. Finden Sie sich im Morgengrauen wieder an dieser Stelle ein. Die Kutsche wird Sie erwarten, und auch ich werde hier sein, um Ihnen letzte Instruktionen zu geben.«
    Damit wandte er sich ohne Abschied um und folgte Stanhopes Spur ins Dunkel. Die Lampe ließ er zurück. Er hatte kaum zehn Schritte getan, da erlosch plötzlich ein Großteil der erleuchteten Schlossfenster, und das schwarze Loch, das sich in der Nacht auftat, verschluckte die Gestalt des Ministers.
    Mein Zimmer erschien mir kalt und ungemütlich, trotz heißer Bettpfanne und einem knisternden Feuer im offenen Kamin. Das Jaulen des Scherenschleifers hing ungebrochen im Raum. Mir kam der irrwitzige Gedanke, dass es allein dem Ziel diente, mir die Abreise zu erleichtern. Ein böser Streich, um mich zu verunsichern, mich zur leichten Beute fremder Entscheidungen zu machen.
    Jakob setzte sich aufs Bett. Der Schnee taute von seinen Stiefeln und bildete einen unschönen Fleck auf dem Vorleger.
    »Es ist gefährlich«, bemerkte er unnötigerweise.
    »Ach, wer weiß«, erwiderte ich müde. »Vielleicht siehst du zu schwarz.«
    »Zu schwarz? Kann es denn nach dem, was in Hadrians Haus geschah, überhaupt noch schwärzer

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