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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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ein Stück meines Gepäcks geschultert, durch eine der Hintertüren in den Park geeilt.
    Das Tannenhalbrund war in der Finsternis des Wintermorgens schwerer zu finden als erwartet, zumal Dalberg aus Sorge um Entdeckung die Lampen der Kutsche nicht entzündet hatte. Schließlich folgten wir unseren eigenen Spuren vom Vorabend durch den Schnee und gelangten so auf geradem Wege zum wartenden Gespann, seinem Kutscher und den beiden Männern, die ungeduldig und frierend daneben standen.
    Sogleich berichteten wir dem Minister von der Wachsfigur und äußerten unsere Überzeugung, dass wir sie der Gräfin Hochberg zu verdanken hätten. Dalberg nickte bedächtig, ließ sich von Stanhope etwas zuflüstern und sagte schließlich: »Ich werde mich darum kümmern. Sie, Herr Grimm,« – er meinte Jakob – »reisen am besten ebenfalls im Laufe des Tages ab, spätestens morgen.«
    »Was mir nur recht ist«, erwiderte Jakob folgsam.
    Ich betrachtete die Kutsche und wunderte mich einen Moment lang über ihre Schlichtheit. Eine Maßnahme, um kein Aufsehen zu erregen. Auf dem Kutschbock saß eine dick vermummte Gestalt. Zwischen Schal und Mütze blickten nur Augen und Nase hervor.
    »Verraten Sie nun, wohin es geht?«, fragte ich den Minister.
    Dalberg schüttelte entschieden den Kopf. »Sie werden einsehen, dass das unmöglich ist. Allein der Kutscher kennt das Ziel und den Weg dorthin. Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass ich weder Sie noch Ihren Begleiter einweihen darf.«
    »Meinen Begleiter?«, fragte ich überrascht.
    Der Minister nickte. »Lord Stanhope wird mit Ihnen reisen.«
    Der Engländer deutete eine leichte Verbeugung an, doch sein Gesicht blieb starr. Vielleicht wegen der Kälte.
    Ich sah Jakob an. Er schenkte mir einen Blick tiefster Besorgnis.
    »Davon war bislang nie die Rede«, wandte ich zaghaft ein, obgleich mir mehr danach war, meinen Widerspruch wütend hinauszubrüllen. Die Worte des Doktors waren noch zu frisch in meiner Erinnerung, um die unerwartete Wendung gleichmütig hinzunehmen.
    Dalbergs Miene verdüsterte sich. »Vielleicht verstehen Sie nicht, Herr Grimm, aber wir haben es hier mit einer Angelegenheit von größtmöglicher Geheimhaltung zu tun. Es ist unabdinglich, dass jedes Detail unseres Vorhabens so wenigen Menschen wie möglich bekannt ist. Darunter fällt auch die Teilnahme des Lords.«
    »Was ist mit dem Kutscher?«, fragte Jakob misstrauisch. »Er kennt das Versteck des Prinzen. Wie kommt es, dass Sie ihm mehr trauen als meinem Bruder?«
    Stanhope hüstelte, und der Minister wurde noch ungehaltener. »Gerard«, begann er heftig, »ist ein Mann, wie ihn sich der Kaiser treuer und ergebener nicht wünschen kann. Er war es, der den Schlitten Seiner Majestät von Moskau nach Paris lenkte. Er ist Hunderten von Anschlägen und Tausenden von Feinden entkommen, und ihm allein ist es zu verdanken, dass dem Kaiser auf dieser Fahrt kein Leid geschah. Deshalb glauben Sie mir, wenn ich Ihnen versichere, dass Gerard nicht die geringste, nicht die allergeringste Gefahr für unsere Pläne darstellt. Gestatten Sie sich kein Urteil über einen Mann, nur weil er eine niedrigere Stellung als Sie bekleiden mag, Herr Grimm!«
    Die harten Worte trafen ins Ziel, und Jakob, dem man vieles vorwerfen konnte, nur nicht Borniertheit, gab sich schweigend geschlagen. Beschämt blickte er zu Boden.
    Gerard, immerhin der Mittelpunkt des Disputs, tat, als hätte er nichts von alldem wahrgenommen, und sah stur geradeaus ins Tannendickicht.
    »Sie werden die Kutsche nach einigen Stunden gegen einen Schlitten eintauschen, der an einem bestimmten Ort bereitsteht«, erklärte Dalberg in meine Richtung. Er reichte mir die Hand. »Ich wünsche Ihnen viel Glück, lieber Grimm. Mein Freund Stanhope ist ein vortrefflicher Fechter und Schütze, der beste, den ich kenne; er wird Sie mit all seiner Kraft zu verteidigen wissen. Vertrauen Sie ihm, so wie ich es tue.«
    Damit umarmte er den Lord, während Jakob und ich uns hilflos gegenüberstanden. Schließlich fielen auch wir uns in die Arme, und ich schluckte schwer, um die aufsteigenden Tränen zurückzuhalten.
    »Ich werde dir schreiben, sobald ich angekommen bin«, versprach ich mit dumpfer Stimme, die meinen Gemütszustand verriet.
    »Tu das«, erwiderte er. »Und halt Augen und Ohren auf – nach Gefahren und nach neuen Märchen.«
    Noch einmal umarmten wir uns, dann war es an der Zeit, in die Kutsche zu klettern. Stanhope und ich nahmen auf gegenüberliegenden Bänken Platz,

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