Die Winterprinzessin
selbstzufrieden, wie sie sind. Dann aber wird eines Tages ein junger Mann auftauchen, bei dem es sich um den tot geglaubten Sohn des Großherzogs Karl handelt. Die Ansprüche der Hochbergs werden damit auf einen Schlag fortgewischt, und der Junge wird über Baden und später über das gesamte Kaiserreich herrschen. Sie, Herr Grimm,« – und dabei sah er mich an – »sollen dafür sorgen, dass er die nötige Bildung, ja das Genie aufweist, das einem Nachfolger des großen Napoleon zusteht.«
»Mein Bruder war dabei wohl kaum Ihre erste Wahl, oder?«, fragte Jakob skeptisch.
Dafür hätte ich ihn prügeln mögen!
»Nun ja, um ehrlich zu sein, nein. Der Kaiser brachte sein Anliegen erst bei Ihrem Gönner Goethe vor. Nun wissen Sie beide und auch ich sehr gut, dass unser großer Dichter sich kaum auf derlei einlassen würde; ich halte ihn auch für um einiges zu alt und verschroben für diese Aufgabe. Napoleon aber, der Goethe vor einigen Jahren beim Erfurter Fürstenkongress kennen und schätzen lernte, ließ sich nicht umstimmen und bestand darauf, sein Angebot vorzutragen. Dass Goethe ablehnte, mag ihn enttäuscht haben, aber umso größer wurde seine Beharrlichkeit, als Goethe Sie, Herr Grimm, als gleichwertigen Ersatz vorschlug. Für den Kaiser stand daraufhin fest, dass Sie unser Mann sind.«
Man mochte über Napoleon, der immerhin einiges Leid über das Land gebracht hatte, denken, was man wollte: In diesem Augenblick hielt ich ihn für den weisesten und größten Herrscher aller Zeiten. Er kannte meinen Namen! Ja, er bestand darauf, dass ich, nur ich, seinen Enkel zum Genie formte! Ich gestehe, in jenem Moment stiegen mir Stolz und Triumph gehörig zu Kopf.
Als ich mich mit einem Seitenblick vergewissern wollte, dass Jakob jedes Wort mit angehört und verinnerlicht hatte, bemerkte ich zu meinem Ärger, dass ihn bereits ganz andere Dinge beschäftigten.
»Angenommen, alles wird sich den Wünschen des Kaisers entsprechend entwickeln«, sagte er grübelnd, »und Wilhelm wird es gelingen, aus dem Kind einen würdigen Thronfolger zu machen. Wie aber soll dann später der Beweis erbracht werden, dass es sich bei dem jungen Mann, der immerhin aus dem Nichts auftaucht, tatsächlich um den rechtmäßigen Thronfolger und nicht um einen Betrüger handelt?«
Dalbergs Lippen verzogen sich zu einem stolzen Lächeln. »Dafür hat der Kaiser längst gesorgt.«
»Wie das?«, fragte ich.
Das Lächeln des Ministers wurde noch breiter. »Kurz nach der Geburt des Kindes tauchte ein vermummter Fremder in den Gemächern der Gräfin Hochberg auf und machte ihr ein Angebot. Wie Sie vielleicht wissen, ist die Gräfin hoch verschuldet und kann es sich nicht leisten, eine beträchtliche Summe auszuschlagen – vor allem, wenn sie im Austausch dafür etwas tun muss, das ihren eigenen Zielen dient. Dieser Fremde also trug der Gräfin auf, den neugeborenen Sohn des Großherzogs zu entführen und an ihn auszuliefern. Dafür bot er der Gräfin einen hohen Talerbetrag und noch dazu die Sicherheit, das Kind werde ins Ausland gebracht und dort ermordet. Die Gräfin, verblendet vom Gold und der Aussicht, endlich ihr Ziel zu erreichen, ließ sich auf den Handel ein. Wie ihr Auftraggeber es verlangt hatte, tauschte sie den wahren Prinzen gegen den falschen aus und übergab das Kind dem Fremden. Jener Ersatzprinz, wenn ich ihn so nennen darf, war mit besonderem Augenmerk darauf ausgewählt worden, dass es sich um ein kränkelndes, auf die Dauer kaum lebensfähiges Kind handelte. Die Gräfin Hochberg musste somit annehmen, dass der Kleine bald sterben und den Platz für ihre eigenen Söhne frei machen würde.«
»Teuflisch!«, entfuhr es Jakob. Seine leuchtenden Augen verrieten, welchen Eindruck der perfide Plan auf ihn machte.
»Die Gräfin handelte also, ohne es zu wissen, im Auftrag Napoleons und schaufelte sich ihr eigenes Grab.«
»In der Tat.«
Ich begriff. »Dann waren Sie der maskierte Fremde!«
»Natürlich«, bestätigte Dalberg. »Ich nahm den wahren Prinzen unbeschadet entgegen und ließ ihn in ein sicheres Versteck bringen.«
Jakob staunte. »Und wenn der Prinz dereinst zurückkehrt, wird es eine Reihe von Beweisen geben, die seine Entführung durch die Gräfin belegen. Denn dafür haben Sie ohne Zweifel ebenfalls gesorgt, nicht wahr?«
Dalberg nickte. »Der Prinz wird sehr überzeugend darlegen können, welches Unrecht ihm nach seiner Geburt durch die Gräfin widerfuhr. Die Hochbergs werden dadurch jeglichen Anspruch auf
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