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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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persönlich etwas an mir, das Ihnen missfällt?«
    Verdattert flüchtete ich mich in ein verlegenes Lächeln. »Nichts dergleichen. Natürlich nicht. Wie kommen Sie darauf, dass Sie solcherlei Gefühle in mir wecken könnten, bester Lord?« Ich möchte wetten, ich war rot vom Scheitel bis zur Sohle.
    »Ihre Reaktion auf meine Teilnahme an diesem … nun, Abenteuer, war nicht eben dazu angetan, mich in menschlicher Wärme zu baden.« Sprachen alle Engländer so hochgestochen, oder war dies ein besonders verschrobenes Exemplar seiner Art?
    »Vielleicht sollten wir eine Unterscheidung treffen zwischen ›in Wärme baden‹ und ›nicht ablehnen‹, meinen Sie nicht?«
    Er lachte herzlich. »Mir scheint, Sie sind ein schwieriger Fall, lieber Grimm. Auf der einen Seite beschäme ich Sie, auf der anderen lassen Sie nicht ab von einem gewissen Trotz. Das gefällt mir. Sie haben Ihren eigenen Kopf, selbst in einer Lage wie dieser.« Damit streckte er die Hand aus und reichte Sie mir. »Schlagen Sie ein und lassen Sie uns wenigstens für den Verlauf dieser Fahrt Gefährten sein. Ich sage nicht Freunde, denn das würden Sie ablehnen. Aber Gefährten ist kaum zu viel verlangt, oder?«
    Zögernd ergriff ich seine Finger. Sein Händedruck war ausgesprochen kräftig, und ich gab mir alle Mühe, wacker gegenzuhalten. Nichts ist mir widerlicher als ein Handschlag wie ein Schwamm.
    Schließlich lehnte er sich zurück. »Wir sollten uns ein wenig die Zeit vertreiben, vielleicht durch eine Erzählung. Soll ich Ihnen von meinem Vater berichten? Ein wahrlich verrückter Hund.«
    Freilich interessierte mich sein Vater kaum mehr als die Schlaglöcher draußen im Walde, trotzdem nickte ich ergeben. »Gerne.«
    »Ich wuchs auf in Schloss Chevening«, begann er, ohne mir Näheres über die Lage dieses ominösen Ortes zu verraten.
    »Mein Vater hatte dort ein reiches Erbe angetreten, und – glauben Sie mir oder auch nicht – seine erste Entscheidung war, das Dach des Schlosses abzutragen, den Stuck als überflüssige Zierde von den Wänden zu schlagen und, am schlimmsten, Pferde und Wagen abzuschaffen, denn er war der Ansicht, seine Familie sollte zu Fuß gehen. Aus Gründen der Gesundheit, versteht sich, nicht etwa, um uns zu demütigen. Edle Kleidung wurde aussortiert und auf Scheiterhaufen verbrannt, wir alle durften nur grobes Leinenzeug tragen. Um die, wie er sagte, Fundamente des Lebens kennen zu lernen, musste meine Schwester, immerhin die Tochter eines Pairs, Truthähne hüten, während wir Jungen beim Dorfschmied in die Lehre gingen. Zwangsweise, wie Sie sich vorstellen können.
    Vater hasste geschlossene Fenster, und so schlief er selbst im tiefsten Winter bei eisiger Kälte, denn kein Diener durfte es wagen, die Fenster seines Zimmers zu schließen. Eingehüllt in zwölf Decken lag er da, nicht einmal mit einer Mütze bekleidet. Wenn er aus dem Bett stieg, streifte er einen feinen Rock über, weigerte sich aber, die Seidenhosen auszuziehen, die er im Bett getragen hatte. An Pantoffeln hatte er nichts auszusetzen, wohl aber an Strümpfen, die verabscheute er. Die meiste Zeit über saß er so ausstaffiert in einer Ecke seines Gemachs, in der kein Teppich am Boden liegen durfte, schlürfte heißen Tee und gab sich dem Genuss trockenen Schwarzbrotes hin.«
    Stanhope machte eine kurze Pause, schmunzelte bei dem Gedanken an die Vergangenheit, dann fuhr er fort: »Sie glauben wohl, damit wäre es der Verrücktheiten schon genug? Keineswegs, mein Freund – pardon: lieber Gefährte –, keineswegs. Eines der liebsten Spielzeuge meines Vaters war ein Fernrohr, mit dem er uns alle beobachtete, uns und die Bediensteten auf den Feldern. Und wehe, er erwischte einen, der nicht bei der Arbeit war! Nun müssen Sie wissen, mein Vater hatte neben Schwarzbrot und Fernglas noch eine weitere Liebe, und das waren seine Erfindungen. Jawohl, Erfindungen! Herr im Himmel, was hat er oft für Dinge gebaut. Nehmen wir als Beispiel sein berüchtigtes Anti-Navigator-Schiff.« Der Lord kicherte, verschluckte sich, hustete heftig und bat dann um Verzeihung. »Also, dieses Anti-Navigator-Schiff, damit lag der Alte gar nicht mal so falsch. Viele Jahre verbrachte er mit Entwurf und Bau, Letzterer geschah im Schlossteich, wo auch die Jungfernfahrt stattfand. Die Admiralität zeigte sich wider Erwarten begeistert und beauftragte meinen Vater mit einem Nachbau von zweihundert Tonnen. Lediglich eine Änderung musste, gegen den wütenden Protest meines Vaters,

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