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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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die sind alle tot.«
    Gegen meinen Willen trafen mich ihre Worte. »Sind sie in einem Krieg gefallen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Mein Vater ließ sie hinrichten.«
    »Seine eigenen Söhne?«
    »Sie haben ihn enttäuscht«, erklärte sie mit einem Schulterzucken. »Er gab ihnen Aufträge, und sie haben versagt. Der Tod hat ihre Ehre gerettet.«
    Ich starrte sie an. »Droht Ihnen … ich meine, wenn Sie scheitern …«
    »Dasselbe Schicksal? Aber natürlich. Ich bin die älteste Tochter des Maharadschas. Ich muss die Fehler meiner Brüder wiedergutmachen.«
    »Dann tun Sie all das, um nicht wie Ihre Brüder zu enden?«
    »Aber nein«, widersprach sie mit Vehemenz. »Ich tue es, um das Andenken meiner Brüder reinzuwaschen. Die Geschichte wird sie verspotten, und ebenso meinen Vater und sein ganzes Geschlecht, einschließlich aller Kinder und Kindeskinder. Wenn ich versage – «
    »Sind da noch dreizehn andere Töchter.«
    »Die zählen nicht. Das Gesetz meiner Familie besagt, dass nur Männer die Missionen des Maharadschas erfüllen dürfen. Wenn nicht sie, dann die älteste Tochter. Alle anderen sind ohne Bedeutung, selbst wenn ich sterbe.«
    »Kann Ihr Vater, als mächtigster Mann Rajipurs, dieses Gesetz nicht ändern?«
    Sie verneinte. »Dann träfe ihn – «
    »Der Spott der Geschichte?«
    »Ganz genau.«
    »Sie leben in einem grausamen Land. Mit grausamen Gesetzen.«
    Jade ließ sich auf den unteren Stufen der Treppe nieder und blickte mich aus großen Augen an. Sie trug eine rote Seidenhose, deren Beine fast so weit wie Röcke waren. Ihr weißes, langärmeliges Hemd reichte kaum bis zum Bauchnabel, darunter war ein Streifen dunkler Haut zu sehen. Sie zog den Fellüberwurf, der auf ihren Schultern lag, enger um ihren Körper.
    Ihre Lippen verzogen sich zu einem bezaubernden Schmollmund. »Ihr eigenes Land ist nicht weniger grausam, Herr Grimm. Und Ihre Sitten sind vielleicht noch merkwürdiger.«
    »Das glaube ich kaum.«
    »In meinem Land würde niemals ein Mann seinen eigenen Bruder hintergehen«, widersprach sie. »Selbst, wenn es zu dessen Bestem wäre.«
    Ich neigte erstaunt den Kopf. »Wie meinen Sie das?« Irgendwo in meinem Hinterkopf begann ein empfindliches Pochen, fast als zähle ein tückischer Teil meiner selbst die Sekunden bis zur letzten, zur schrecklichsten Offenbarung.
    »Ahnen Sie es nicht?«
    Wie fortgewischt war mein Verständnis für ihre Lage, ebenso meine absurde Sorge um ihr Wohlergehen. Ein einziger Gedanke beherrschte mein Denken. »Was soll ich ahnen?«
    Sie seufzte und ergriff mit beiden Händen meine Rechte, wie eine mitfühlende Schwester, die ihrem Bruder den Tod des Vaters beibringt. »Von wem könnte Kala wohl den Zeitpunkt Ihrer Abreise erfahren haben?«
    »Das ist nicht wahr!«, stieß ich aus. »Sie lügen!«
    »Ich habe keinen Grund dazu.«
    »Sie wollen uns hintergehen! Wollen uns auseinander treiben!« Ich vermochte kaum mehr zu atmen, so zugeschnürt war meine Kehle. Jedes Wort war eine Qual.
    »Er hat es getan, um Ihnen zu helfen«, sagte sie eindringlich. »Nur deshalb.«
    Mal sehen, ob sich irgendwo Wasser auftreiben lässt, hatte er gesagt. Und kurz darauf hatte ich Kala gesehen, wie er sich vom Schloss entfernte. Nein, unmöglich! Nicht er!
    »Sie hätten es nie verstanden«, sagte sie sanft, doch ich hörte sie kaum. Ich stürzte los.
    »Herr Grimm!«, rief sie mir hinterher.
    Ich rannte zum Tor hinaus, stolperte über ein Trümmerstück, fiel in den Schnee vor der Ruine. Stemmte mich mit bebenden Gliedern wieder auf, lief zum Waldrand und sank in den Schatten einer mächtigen Eiche. Dort blieb ich sitzen, mit angezogenen Knien, während mir die Tränen über die Wangen strömten und ich nichts fühlte als tiefste Kränkung und Enttäuschung, nichts sonst, nicht den Boden unter mir und nicht das raue Holz in meinem Rücken. Nur Kränkung, nur Enttäuschung, und später dann maßlose Wut.
    Gegen Abend war der Himmel aufgeklart. Die untergehende Sonne stand tief über dem Rand der Lichtung, die Schatten der Baumwipfel tasteten wie knorrige Finger nach der Ruine. Irgendwann stand mit einem Mal Jade vor mir. Ich hatte sie weder gesehen, noch hatte ich gehört, wie sie herankam. Ich musste wohl eingeschlafen sein, Stunden nachdem ich die furchtbare Wahrheit erfahren hatte. Die Wahrheit über Jakobs Verrat.
    Sie streckte die Arme nach mir aus und reicht mir ihre Hände. »Kommen Sie, stehen Sie auf. Lassen Sie uns ein Stück durch den Wald gehen.«
    Hinter uns, aus

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