Die Winterprinzessin
nichts übrig für Vollblutsoldaten, und ich mochte auch ihn nicht, doch schien er Dalbergs volles Vertrauen zu genießen.
»Ich habe den ganzen Morgen gebraucht, den Großherzog von unserer Mission zu überzeugen«, sagte Dalberg und ließ eine Reihe unschicklicher Flüche folgen. »Was hätte ich ihm sagen sollen? ›Hoheit, Euer Sohn, den Ihr für tot haltet, wurde von meinem besten Freund entführte? Keine gute Idee, fürchte ich. Ich habe ein Märchen ersonnen, das bestens in Ihrer Sammlung aufgehoben wäre.« Wir lächelten höflich, aber müde. »Schließlich brachte ich ihn so weit, dass er mir eine Zehnschaft Soldaten genehmigte. Sie eingeschlossen, Stiller.«
Der Rittmeister nickte schweigend.
Dalberg sah mich und Jakob an. »Nur wir vier kennen das wahre Ziel unserer Mission, die Soldaten werden darüber im Dunkeln bleiben. Ich werde vor Ort entscheiden, ob es nötig ist, ihnen mehr zu offenbaren. Können Sie reiten?«
Jakob und ich wechselten einen unsicheren Blick. Das letzte Mal, das wir länger als eine Stunde im Sattel gesessen hatten, war viele Jahre her; danach hatte mir zwei Wochen lang das Hinterteil wehgetan.
»Es wird reichen«, meinte Jakob, zu Dalberg gewandt.
»Gut«, stellte der Minister fest. »Eine Kutsche würde uns zu lange aufhalten. Wir können es uns nicht leisten, dass Stanhopes Vorsprung noch größer wird.«
»Und wenn er das Versteck bereits erreicht und den Prinzen verschleppt hat?«, fragte ich vorsichtig.
Dalberg, der diese Möglichkeit bereits in allen Varianten durchdacht haben musste, hob die Schultern. »Dann bleibt uns nur, ihm zu folgen. Wie sonst könnte ich dem Kaiser je wieder unter die Augen treten?« Er blickte auf seine Taschenuhr. »Sie haben zehn Minuten Zeit, um Ihre Sachen zu packen. Nehmen Sie nur mit, was in zwei Satteltaschen passt. Den Rest wird man nach Kassel übersenden.«
Wir erhoben uns. Stillers Blick folgte uns zur Tür, fast ein wenig verdrossen. Er hatte während der Unterredung kaum drei Sätze gesprochen, und doch machte seine Miene keinen Hehl daraus, dass ihm der Gedanke, zwei Zivilisten am Hals zu haben, gründlich missfiel.
Bevor wir hinausgingen, blieb Jakob noch einmal stehen. »Sie haben uns nicht gesagt, weshalb Sie uns überhaupt dabeihaben wollen.«
Dalberg wirkte erstaunt. »Ich nahm an, das sei Ihnen klar.«
»Um ehrlich zu sein, nein«, sagte ich.
Zum ersten Mal schien sich der Zorn des Ministers gegen uns zu richten – genauer: gegen mich. »Ich weiß nicht, was in der Abtei vorgefallen ist, Herr Grimm, und ich weiß nicht, welche Rolle Sie dabei gespielt haben. Ich glaube nicht, dass Sie mit Stanhope unter einer Decke stecken, gewiss nicht, aber es gibt da einiges, das ich nicht durchschaue. In den nächsten Tagen werden einige Gesandte des Kaisers hier im Schloss eintreffen, und es wäre mir unlieb, wenn die Herren Sie befragen würden, ohne dass ich dabei bin. Sehen Sie unseren kleinen Ausflug also als Absicherung. Für mich, aber auch für Sie selbst.«
Mir wurde bei diesen Worten heiß und kalt zugleich, und Jakob musste mich am Ärmel ziehen, um mir zu bedeuten, dass es an der Zeit sei, den Mund zu halten und schnellstmöglich den Raum zu verlassen.
Ich war wie betäubt, während wir zu Jade eilten und ihr in aller Kürze mitteilten, was uns bevorstand. Sie lächelte nur auf jene geheimnisvolle Weise, wie sie es oft zu tun pflegte, und beschwichtigte sanft unsere Sorgen um sie. Und da begriff ich, dass keine Verletzung und erst recht kein Soldat sie nach unserer Abreise im Schloss halten würden.
»Ich werde bei Ihnen sein«, flüsterte sie nur, und gab dabei jedem von uns das Gefühl, er sei der Einzige, dem ihre Worte galten.
Dann hieß es Abschied nehmen, vom Schloss und von Karlsruhe. Keines war mir ans Herz gewachsen, und die Trennung fiel mir ausgesprochen leicht. Hurtig stampften die Pferde im Schnee, heiß dampfte ihr Atem in den Abend.
Ich habe die Stadt niemals wiedergesehen.
2
A ls König Midas seine Gabe entdeckte, alle Dinge zu vergolden, da kann sein Gefühl nicht glühender, seine Freude nicht strahlender gewesen sein als die meine in jenen Momenten, da die Sonne hinter den Hügeln versank und die schneebedeckten Wiesen und Felder in ein Meer aus Gold verwandelte. Der gelbrote Gluthimmel spiegelte sich in Myriaden von Eiskristallen, und mir war, als hätte ich nie zuvor etwas Schöneres gesehen.
Zu meinem Erstaunen hatten wir nicht den Weg durch den Wald eingeschlagen, nutzten also nicht
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