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Die Winterprinzessin

Die Winterprinzessin

Titel: Die Winterprinzessin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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dieselbe Strecke wie jene Unglückskutsche, die Stanhope und mich zum Versteck des Prinzen hatte bringen sollen. Stattdessen hatten wir die Stadt nach Osten hin verlassen, auf der Straße nach Durlach, waren aber schon bald in nördliche Richtung gebogen. Der schwarze Rand des Hardtwaldes lag nun links von uns, und wir ritten auf schneebedeckten Feldwegen beinahe parallel zum Wall der fernen Wipfel.
    Der Eindruck, durch ein Land aus purem Gold zu reiten, schwand bald schon dahin. Die Sonne versank hinterm Horizont, allein ihre letzten Strahlen beleuchteten noch eine Weile unseren Weg. Mehrmals blickte ich zurück, bemüht, es weder Dalberg noch Stiller merken zu lassen. Doch alles, was ich sah, waren die grimmen Gesichter der neun Soldaten, die auf ihren Rössern hinter uns her preschten. Kein dunkler Punkt hinter uns in den eisigen Weiten, keine einsame Reiterin, die uns in gebührendem Abstand folgte. Natürlich nicht. Jade war viel zu vorsichtig, um sich so leicht zu erkennen zu geben. Und wer konnte wissen, ob es ihr wirklich gelungen war, das Schloss zu verlassen? Wenn Dalberg sogar mir misstraute, wie musste es dann erst um Jade stehen? Würde er nicht Wachen abgestellt haben, die sie in Karlsruhe festhielten?
    Meine Hoffnung schwand dahin wie das Tageslicht, und als schließlich Nachtschatten über die Lande krochen, war meine Stimmung zum Tiefpunkt gelangt.
    Jakob, der neben mir ritt, wandte sich an den Minister: »Wollen wir die Nacht etwa durchreiten?«
    »Stanhope hat es sicher getan«, gab Dalberg mürrisch zur Antwort. Er war ebenso dick in Mantel und Schals gehüllt wie wir alle, und er schien das Reiten nicht gewohnt zu sein. Bei jedem Auf und Ab des Pferderückens verzog er schmerzlich das Gesicht. Ich gestehe, ich gönnte es ihm.
    Was sonst konnte er auch von mir erwarten? Dankbarkeit, dass er mich vor den Häschern Bonapartes schützte? Danach war mir kaum zu Mute. Ich hatte ihn schon tausend Mal dafür verflucht, dass er Jakob und mich gezwungen hatte, ihn auf seiner Treibjagd zu begleiten. Überhaupt, was ging mich noch das Blag des Großherzogs an? Sollte Stanhope in Gottes Namen damit glücklich werden.
    Selbst mein Pflichtgefühl der Prinzessin gegenüber geriet mit der Zeit ins Wanken. Ihr Zauber schien nur zu wirken, solange sie in greifbarer Nähe war. Die Entfernung aber trübte die Erinnerung an ihren Blick, die Geschmeidigkeit ihrer Haut. Allmählich begann ich auch an ihr, mehr noch an ihren Zielen zu zweifeln.
    Einmal hielten wir kurz an, und die Soldaten entzündeten Fackeln. Trotzdem kamen wir im hohen Schnee und in der Finsternis nur noch langsam voran. Zudem pfiff ein schneidender Wind über die nächtlichen Felder und trieb die bittere Kälte bis in meine Knochen. Eine Erkältung, längst schon überfällig, verstopfte mir Hals und Nase; ich vermag gar nicht auszudrücken, wie unendlich leid ich dieses Abenteuer war. Ich wollte nur noch heim in die Behaglichkeit meiner Stube, wollte die Füße an einen offenen Kamin strecken, ein Buch in der einen Hand, ein Glas Glühwein in der anderen.
    Jakob schien es kaum besser zu ergehen. Frierend starrte er im Schein seiner Fackel hinaus in die Finsternis. Wir ritten in Zweierreihen. Gleich vor uns stemmten sich Dalberg und Stiller schweigend gegen die Winterwinde. In unseren Rücken folgte der Rest des Trupps. Ich stellte mir Stanhope vor, wie er mit dem vermaledeiten Kind im Arm in irgendeinem warmen Zimmer saß und bei dem Gedanken frohlockte, dass seine Verfolger sich gerade durch Eis und Schnee quälten.
    »Wir hätten doch eine Kutsche nehmen sollen«, murmelte ich missmutig in meinen steif gefrorenen Schal.
    Wider Erwarten schien Stiller, der seinem Namen bislang alle Ehre gemacht hatte, meine Worte vernommen zu haben. Er drehte sich um und rief: »Eine Kutsche wäre auf diesen Wegen längst stecken geblieben. Wäre Ihnen das lieber, Herr Grimm? Festzusitzen bei diesem Wetter?«
    »Ich wüsste nicht, welchen Unterschied das machte«, gab ich trotzig zurück. »So oder so frieren wir uns zu Tode.«
    Stiller sah wieder nach vorne. »Sparen Sie Ihren Atem, Grimm. Vielleicht wärmt er Sie von innen.«
    Hinter uns lachten ein paar der Soldaten leise vor sich hin.
    Mir wurde tatsächlich warm – vor Wut. »Ich bin keiner Ihrer Lakaien, Rittmeister Stiller. Sie mögen das Kommando über diese Soldaten haben, nicht aber über mich und meinen Bruder.«
    Dalberg mischte sich ein. »Hören Sie auf zu streiten. Das gilt auch für Sie, Stiller.

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