Die wir am meisten lieben - Roman
und dünn und hatte einen traurigen fuchsroten Schnauzer – nicht jeder Frau, die er kennenlernte, einen solchen Blick zuwarf, dann hatte sie zumindest eine Chance.
Julian, der äußerst zufrieden aussah, stellte sie einander vor. Gerade, als sie zu viert hinausgehen und ein Taxi heranwinken wollten, tauchte Gerald auf der Bildfläche auf. Zweifelsohne hatte er immer noch die Hoffnung, dass er Diane zum Dinner begleiten konnte. Er legte besitzergreifend seinen Arm um ihre Schulter, schrumpfte aber ein wenig, als Mr. Kanter seinen Namen missverstand und Jeremy zu ihm sagte. Julian nutzte den Moment der Ablenkung und ließ Diane leise wissen, dass die Rolle ihr so gut wie sicher war.
»In der Tasche, Darling«, flüsterte er. »Die beiden sind absolut begeistert.«
Den armen Gerald entließen sie in die Nacht und fuhren durch die Stadt zum
Mirabelle
in der Curzon Street. Dort, am besten Tisch, gab Diane ihre zweite bravouröse Vorstellung an diesem Abend. Freunde nannten es ihre Audrey-Hepburn-Show. Das hieß, gleichzeitig selbstbewusst und selbstironisch erscheinen, intelligent, aber liebenswert zerstreut, anmutig und doch geerdet, aufmerksam, jedoch nicht übertrieben kokett. Die eine oder andere scheinbar unbewusste Berührung einer Hand oder eines Arms, während sie über eine geistreiche Bemerkung lachte. Männer genossen es ausnahmslos, berührt zu werden. Das wusste Diane. Vor allem musste sie
modern
wirken, nicht spießig und arrogant und britisch. Und natürlich musste sie sich in angemessener Weise von ihrem Interesse geschmeichelt fühlen, wenn auch nicht überwältigt.
Drei Stunden später saß Diane im Schneidersitz auf ihrem Bett in Paddington und ließ das Dinner noch einmal vor ihren |58| Mitbewohnerinnen Helen, Molly und Sylvia, die auf sie in ihren Flanellnachthemden gewartet hatten, Revue passieren.
»Gary Cooper!«, sagte Helen. »Ein Western?«
»Nein, ein Psychothriller.«
»Der muss doch schon einhundertdrei sein«, sagte Molly.
»Mindestens. Ich habe gelesen, er hat sich liften lassen und sieht überhaupt nicht mehr wie Gary Cooper aus.«
»Mir egal, wie er aussieht« sagte Diane.
»Nicht zu fassen!«, sagte Sylvia. »Du wirst ein echter Filmstar! Hast du es Tommy schon erzählt?«
»Es ist zwei Uhr in der Früh. Ich werde ihm morgen schreiben.«
»Er wird außer sich sein vor Freude.«
Das war eines der vielen Dinge und bei weitem das Wichtigste, worüber Diane noch nicht weiter nachgedacht hatte: Wie würde Tommy es aufnehmen, dass sie vielleicht nach Hollywood ging? Sie war viel zu aufgeregt, um schlafen zu können, und lange nachdem die Mädchen in ihre Betten verschwunden waren, lag sie noch wach und dachte, wie so oft, an ihn.
Seine ersten Briefe hatten kaum etwas davon preisgegeben, wie er sich fühlte. Diane erinnerte sich an ihre Zeit im Internat und daran, dass die ersten Briefe genau kontrolliert wurden, damit die Eltern nicht in Panik ausbrachen. Man durfte nicht schreiben, wie elend es einem erging, wie schlecht das Essen war, wie abscheulich die Lehrer und die anderen Mädchen einen behandelten. Tommys Briefe aus Ashlawn hatten genau diesen Hauch von Zensur:
Liebe Diane,
ich hoffe, Dir geht es gut. Mir geht es gut. Heute haben wir Rugby gespielt. Es hat Spaß gemacht. Das Essen ist okay (das letzte Wort war durchgestrichen und fraglos auf Befehl ersetzt worden durch ›in Ordnung‹). Bitte sag Mom, sie möchte mir noch ein paar ›Wagon Wheels‹
|59|
und ›Smarties‹ in möglichst vielen Farben schicken, denn wir sammeln sie. Die Blauen sind die besten. Ich hoffe, die Proben sind gut.
In Liebe, Tommy
Der Brief, der sie vor zwei Tagen erreicht hatte, klang vollkommen anders. Die Schrift war Gekritzel, beinahe verzweifelt, und die Botschaft erschreckend kurz.
Liebe Diane,
bitte, BITTE bring Mom und Dad dazu, dass sie mich hier rausholen. Ich kann es nicht länger ertragen. Ich werde von allen herumgeschubst. BITTE!
In Liebe, Tommy.
Er musste diesen Brief irgendwie herausgeschmuggelt haben. Diane hatte selber einmal einen der Schulgärtner mit einem Kuss bestochen, für sie das Gleiche zu tun. Nachdem sie Tommys Zeilen erhalten hatte, hatte sie umgehend ihre Mutter angerufen. In nur wenigen Minuten eskalierte das Gespräch, wie immer in letzter Zeit, und sie schrien sich nur noch an.
»Du übertreibst, wie immer, Diane. Weißt du überhaupt, wie viel Geld es deinen Vater kostet, damit Tommy in Ashlawn sein kann?«
»Das weiß ich nur zu
Weitere Kostenlose Bücher