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Die wir am meisten lieben - Roman

Die wir am meisten lieben - Roman

Titel: Die wir am meisten lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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erzählen, nicht so
ein Weichling
zu sein.
    Nach beinahe neun Monaten ohne einen echten Freund hatte sich Tommy mehr und mehr in seine eigene Welt zurückgezogen. Die Montagabendserie
Wagon Train
war ihm verwehrt (natürlich war Fernsehen ebenso wie alle anderen Erfindungen, die das Leben in irgendeiner Weise angenehm machten, aus Ashlawn verbannt), und so begnügte er sich mit den Fotos von Flint McCullough, die er in den Deckel seiner Kiste geklebt hatte. Auch Fotos seiner Eltern waren darin und sein Lieblingsbild von Diane vor dem Café Royal. Aber Flint nahm den Ehrenplatz ein.
    Die Kisten standen auf Holzregalen im Korridor. Nur nach den Mahlzeiten war es den Jungen gestattet, dorthin zu gehen. Doch dann war es immer zu laut und voll, und darum schlich sich Tommy unerlaubt an diesen Ort, wenn er ihn für sich allein hatte. Wie auf fast alle geringen Verfehlungen stand auch darauf die Prügelstrafe. Er war vorsichtig und noch nicht ertappt worden. Seine schwarzen Schnürstiefel hatten eine Gummisohle und machten auf dem Fliesenboden kein Geräusch. Bei jedem Laut blieb er wie angewurzelt stehen und wartete im Dunkel, bis die Gefahr vorüber war. Er schloss die Kiste mit dem Schlüssel auf, der an einer Schnur am Gürtel seiner Shorts hing. Er hob den Deckel behutsam. Flints Gesicht kam langsam ans Licht und sah ihn mit einem leicht traurigen, dennoch tröstenden Lächeln an, als habe er ihn erwartet.
    Die Kiste wie einen Schrein zu behandeln und andächtig vor einem Cowboyschauspieler zu stehen grenzte beinahe – das wusste Tommy – an Wunderlichkeit. Manchmal fragte er sich sogar, ob er nicht seinen Verstand verlor. Niemals sprach er laut mit dem Bild und wäre entsetzt davongelaufen, hätten die Lippen von McCullough auch nur gezuckt. Aber in seiner Vorstellung hörte er Flints Stimme, als spräche er in Wirklichkeit mit ihm.
    |64| »Wie ist es letzte Nacht gelaufen?«
    »Ich habe ins Bett gemacht, verdammt. Fast drei Wochen habe ich durchgehalten.«
    »Das ist Pech, mein Sohn. Aber du machst das ausgezeichnet. Wie viele
Ich werde nicht
sagen wir denn jede Nacht vor dem Einschlafen?«
    »Dreihundert.«
    »Wir erhöhen auf vierhundert.«
    »Okay.«
    »Und das, was Pettifer nach dem Frühstück gesagt hat – über deine Mutter und dass sie eckige Titten hat. Mach dir nichts draus. Der Junge ist doch ein Idiot.«
    »Ich weiß.«
    »Wahrscheinlich hat seine Mutter welche.«
    »Klar, und schlaff sind sie auch, nehme ich an.«
    »Richtig schlaff.«
    »Danke, Flint.«
    »Keine Ursache, Tommy.«
    »Ich gehe besser. Wir sehen uns später. In Ordnung?«
    »Darauf kannst du wetten. Pass auf dich auf.«
    »Du auch. Tschüss.«
    Der einzige Mensch, der so etwas wie ein Mentor in seinem Leben war, war The Duck. Mr. Lawrence war ein alter Mann – nun, vielleicht im selben Alter wie Tommys Vater – in Tweedjacken mit Lederflicken an den Ellenbogen. Er hatte kleine stoppelige Stellen am Hals, die er beim Rasieren übersah, und roch angenehm nach Pfeife, genau wie Tommys Vater. Manche der älteren Jungen behaupteten, er sei ein
Homo,
denn a) war er nicht verheiratet und b) war sein Vorname Evelyn, ganz augenscheinlich ein Mädchenname. Tommy war das egal. The Duck war freundlich und lustig und voller faszinierender Geschichten. Er war der Klassenleiter von Tommys Klasse. 2B – two Be. Sobald Mr. Lawrence den Klassenraum betrat, sagte er
to be or
|65|
not to be, that is the question
und erntete ein kollektives Stöhnen. Das Beste war, er hatte eine ansteckende Leidenschaft für Bücher.
    Nachdem er dahintergekommen war, dass Tommy sich für Western begeisterte, gab er ihm eine Ausgabe von
Riders of the Purple Sage
und danach eine Anthologie von Kurzgeschichten von Jack London. Tommy war Feuer und Flamme, und bald las er alles, was er in die Hände bekam. Die Schulbücherei war klein und spärlich ausgestattet. Jeden Mittwoch aber, nach dem Tee, begleitete The Duck seine interessierten Schützlinge in die Stadt zur öffentlichen Bibliothek, und dort durften sie je drei Bücher ausleihen. Dieser Ausflug war der Höhepunkt in Tommys Woche.
    Der Weg in die Stadt war ein Fußmarsch von etwa einer Meile bergab. Sobald sie das Schultor durchschritten, auch im Regen, bemächtigte sich seiner das prickelnde Gefühl von Freiheit. Es war nicht sehr ratsam, sich zu oft mit Lehrern zu unterhalten. Schnell geriet man in den Verdacht, ein Schleimer zu sein, oder schlimmer noch – wenn man mit Ducky Lawrence redete – ein Homo. Trotzdem

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