Die wir am meisten lieben - Roman
etwas.
Nach jeder Aufführung suchte er, fast einem Ritual gleich, mit einer halbvollen Flasche gekühltem Champagner und zwei Gläsern ihre Garderobe auf. Auch jetzt. Noch geschminkt hockte er mit seinem breiten Hintern auf der Tischkante und sah zu, wie sie sich abschminkte. Beide hatten die Kostüme aus- und Bademäntel übergezogen, seiner war bei weitem der luxuriösere – burgunderfarbener Satin mit schwarzen Paspeln, maßgeschneidert aus einem exorbitant teuren Laden in der Jermyn Street.
Dianes Garderobe war winzig und vollgestellt mit Blumen. Das schmeichelnde Licht der Glühbirnen um den Schminkspiegel und die vielen Karten von Freunden und Gratulanten verschleierten die Tatsache, dass die Wände seit über zwanzig Jahren keinen Anstrich gesehen hatten. Im Moment war der Raum auch noch verqualmt. Gerald, der sich bemühte, wie |55| Noel Coward auszusehen, paffte eine seiner abscheulichen türkischen Zigaretten, die er in eine kleine Spitze aus Schildpatt steckte.
»Du warst großartig heute Abend«, sagte er.
»Wirklich?«
»Tu nicht so.«
Er sprach mit seiner tiefen Stimme, ein raues Flüstern, von dem er glaubte, es sei verführerisch. Egal, ob auf der Bühne oder hinter den Kulissen, auf Diane hatte es immer dieselbe Wirkung: Es brachte sie zum Kichern. Er trank einen Schluck und stellte sich hinter sie, beugte sich hinunter, so dass ihre Köpfe auf gleicher Höhe waren und er sich und sie im Spiegel bewundern konnte.
»Mein Gott, du bist wunderschön.«
Sie war sich nicht sicher, wen von beiden er meinte.
»Sei nicht albern.«
»Ich habe einen Tisch im Luigi’s bestellt«, sagte er und roch an ihrem Haar. Gleich würde er ihren Nacken tätscheln. Sie musste ihn loswerden.
»Liebling, ich habe dir doch gesagt, es geht nicht. Ich bin von diesen Hollywoodleuten zum Abendessen eingeladen. Sie sind extra hergekommen.«
»Dann essen wir alle zusammen.«
Diane erhob sich und gab ihm einen schwesterlichen Kuss auf die Wange.
»Nein.«
Er hielt ihre Hüften umschlungen und näherte sich ihr zu einem anderen als nur brüderlichen Kuss. Diane legte ihre Hände auf seine Brust, um ihn auf Abstand zu halten.
»Ich muss mich beeilen. Sie warten unten auf mich.«
»Du machst mich wahnsinnig.«
»Dann müssen wir dich irgendwo einsperren.«
Das Klopfen an der Tür kam gerade rechtzeitig. Wilfred, der |56| altgediente Cerberus am Künstlereingang, meldete, ihr Agent warte in Begleitung zweier »amerikanischer Gentlemen« in der Lobby auf sie. Diane sagte, sie sei in wenigen Minuten unten. Gerald machte keine Anzeichen, zu gehen. Er hoffte offenbar, dass sie sich vor ihm ausziehen und ankleiden werde. Sie hielt ihm die Tür auf. Mit dem Gesichtsausdruck eines liebeskranken Spaniels zog er sich widerwillig zurück.
Den beiden Männern, die ihr Agent Julian Baverstock zur Aufführung mitgebracht hatte, war Diane noch nicht persönlich begegnet. Aber sie hatte von ihnen gehört. Jeder hatte das. Herb Kanter war einer der einflussreichsten Hollywoodproduzenten. Seine Filme waren sowohl Erfolge bei Kritikern als auch Kassenschlager. Und Terence Redfield war ein junger aufstrebender Regisseur, über den alle Welt sprach. Er war erst Mitte dreißig und hatte schon Filme mit Cary Grant, Marilyn Monroe und Marlon Brando gedreht. Sie suchten eine Schauspielerin, die an der Seite von Gary Cooper in dem Film
Remorseless
von Paramount mitspielen sollte. Die Aufnahmen sollten im kommenden Herbst beginnen. Dianes Hände zitterten vor Aufregung so, dass sie kaum ihr Kleid zubekam. Eine Freundin, die als Model arbeitete und von den besten Pariser Modehäusern Kleider geschenkt bekam, hatte es ihr geborgt. Dieses dunkelgrüne Seidenkleid mit dem tiefen Ausschnitt passte wie angegossen. Sie hatte sich auch eine Perlenkette geliehen. Diane war angezogen, hatte sich frisch geschminkt, frisiert und sich abwägend vor dem Spiegel gedreht und musste feststellen, dass alles an ihr – das Haar, die Perlenkette, sogar das Kleid – falsch aussah. Niemals würden sie ihr die Rolle anbieten. Nicht in einer Million Jahren.
Als sie aber die Treppe hinunterschritt, den Pelzmantel über dem Arm, wusste sie, dass sie zu hart mit sich ins Gericht gegangen war. Herb Kanter fiel die Kinnlade hinunter. Er war klein und glatt und erinnerte sie an einen Seelöwen im Londoner |57| Zoo, bis auf die schwere schwarzgerahmte Brille, die leicht zu beschlagen schien, als sie seine Hand schüttelte. Und sofern Terence Redfield – er war groß
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