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Die wir am meisten lieben - Roman

Die wir am meisten lieben - Roman

Titel: Die wir am meisten lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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sagen, warum es dazu gekommen war. Es gab einfach zu viele Gründe.
    |82| Das Muster war immer gleich: Gina und er hatten Streit über irgendetwas, das mit Danny zu tun hatte. Der Junge hatte oft Koliken und weinte die ersten zwei Jahre fast ohne Unterlass. Der Schlafmangel zerrte an Toms und Ginas Nerven. Manchmal war es, als hinge ihre geistige Gesundheit an einem Seidenfaden. Gina wurde zornig und sagte ihm, er tauge nicht als Vater, dass er ihr alles alleine überlasse, seine Arbeit ihm wichtiger sei als seine Verantwortung ihr und dem gemeinsamen Sohn gegenüber. Sie sagte, sie hasse Missoula, und warf ihm vor, sie von ihrer Familie und ihren Freunden auf der anderen Seite des Berges getrennt zu haben.
    Tom gab es nicht zu, aber sie hatte recht. Er glaubte, das Kind sei der größte Fehler gewesen. Und außerdem war er der Überzeugung, wegen seiner unglücklichen Kindheit kein guter Vater sein zu können. Jeder Mensch, den er je geliebt oder der ihn je geliebt hatte, war entweder gestorben oder hatte ihn verlassen. Darum, so folgerte er, hatte er sich vielleicht ein allzu dickes Fell zugelegt und war zur Liebe unfähig. Wenn Gina ihn attackierte, nahm er es einfach hin, statt sich zu wehren, und er entschuldigte sich. Das machte sie nur noch rasender. Tom floh in die Arbeit, erfand Ausreden, warum er in die Stadt fahren musste. Er müsse in die Universitätsbibliothek, sagte er. Recherche.
    Irgendwie war es auch so. Er ergründete neue, düstere Tiefen seines Ichs. Er verbrachte lange Nachmittage und, je mehr Zeit ins Land strich, längere Abende mit anderen Fliehenden in den schäbigen Bars in Downtown. Jeder hatte sein eigenes Kreuz zu tragen, und alle schweißte das gleiche Selbstmitleid zusammen.
    Tom glaubte, dass es bei den meisten Eheproblemen an irgendeinem Punkt kein Zurück mehr gab, wenn Entschuldigungen und Vergebung nichts mehr bedeuteten und beiden Beteiligten klar wurde, so würde es bleiben. Für Gina war dieser Zeitpunkt nach der Kanufahrt mit Danny gekommen, nur er |83| und sein Sohn, ein paar Tage vor Dannys fünftem Geburtstag.
    Toms Trunksucht hatte eine neue Stufe erreicht. Bereits morgens hatte er sich ein oder zwei Drinks genehmigt. Auch die Zahl der Flaschen, die er überall im Haus versteckte, hatte zugenommen: hinter Büchern in den Regalen in seinem Arbeitszimmer, in seinen alten Cowboystiefeln im Schrank, sogar draußen im Schuppen. Schon zweimal hatten sie die Bootsfahrt wegen des Wetters verschoben, und obwohl er an jenem Sonntag einen fürchterlichen Kater hatte, wollte er den Jungen nicht wieder enttäuschen.
    Es war ein klarer, kalter Tag im Frühjahr. Danny war schon nach dem Aufstehen ganz aufgeregt. Er versuchte Tom dabei zu helfen, das alte grüne Kanu auf das Autodach zu hieven, war aber nur im Weg. Tom ermahnte ihn zu barsch aufzupassen. Gina musste es gehört haben, denn sie kam aus dem Haus, die Arme vor der Brust verschränkt und mit diesem resignierten Gesichtsausdruck, ein Blick, der mehr sagte als alle Worte. Danny stellte sich neben sie.
    »Glaubst du wirklich, dass es eine gute Idee ist?«, fragte sie Tom.
    »Hör schon auf. Wir werden eine Menge Spaß haben, nicht wahr, Danny?«
    Danny nickte, wirkte aber nicht sonderlich überzeugt.
    Eine Stunde später befanden sie sich auf dem Fluss. Alles war perfekt: Die Sonne glitzerte auf dem Wasser, an den Pappeln am Ufer konnte man das erste zarte Grün der Blätter sehen. Toms Kopf klärte sich. Danny hatte eine gelbe Schwimmweste an und trug eine rotweiße Mütze, er grinste und jauchzte.
    Ein Dutzend Mal hatte Tom diese Fahrt schon gemacht, aber noch nie mit Danny. Die Strecke war nicht sehr anspruchsvoll, nur ein paar schwache Stromschnellen. Gina wollte flussabwärts in zwei Stunden mit dem Auto auf sie warten. Vater und |84| Sohn machten an einer sonnigen Wiese halt und aßen die Brote, die Gina zubereitet hatte. Danach standen sie am Ufer und ließen Kieselsteine über das Wasser hüpfen.
    »Dad, können wir das wieder einmal machen?«
    »Wann immer du willst.«
    Sie zogen sich die Schwimmwesten wieder über und kletterten ins Kanu. Danny saß mit seinem kleinen Paddel vorne. Er hatte den Bogen noch nicht ganz raus, aber das machte nichts. Erst als sie die letzten Stromschnellen erreichten, bemerkte Tom, dass der Fluss mehr Wasser führte als normalerweise. Das Rauschen wurde lauter. Die Wogen schlugen diagonal vom Ufer zurück. Tom befahl Danny, er solle das Paddel ins Boot legen und sich mit beiden Händen am

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