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Die wir am meisten lieben - Roman

Die wir am meisten lieben - Roman

Titel: Die wir am meisten lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Dollbord festhalten. Der Ton in seiner Stimme war scharf, und der Junge sah plötzlich ängstlich aus.
    Wie es genau passiert war, konnte Tom später nicht mehr sagen. Eine ganze Menge Wasser war nach den ersten hundert Metern Stromschnellen ins Boot geschwappt und floss von einer Seite zur anderen über ihre Füße. Das Kanu wurde unstabil. Und weil der Fluss mehr Wasser führte als sonst, wusste Tom nicht, welchen Weg er durch die Felsen nehmen sollte. Im nächsten Moment schlug eine Welle vom rechten Ufer gegen den Bug, und das Kanu drehte sich wie wild im Kreis.
    »Daddy!« Danny schrie.
    »Halt dich fest! Es ist alles okay!«
    Nichts war okay. Bevor Tom die Richtung korrigieren konnte, wurde das Kanu rücklings zwischen die Steine in eine Rinne gesogen. Tom musste über seine Schulter blicken, damit er sehen konnte, was vor ihnen war. In Dannys Gesicht stand das blanke Entsetzen.
    »Keine Sorge, mein Sohn. Alles okay.«
    Vor sich sahen sie zwei große Felsblöcke, dazwischen einen strudelnden Spalt, durch den das Wasser in einem riesigen silbrigen |85| Bogen hinunterschoss. Wenn das Kanu gerade in den Spalt geschwommen wäre, dann hätten sie vielleicht Glück gehabt, und das Boot wäre nicht umgekippt. Aber das Ende krachte gegen den rechten Felsen, und man hörte ein Knirschen, das Kanu wurde in den Spalt gedrückt, kenterte eine Sekunde später, und sofort gerieten sie unter Wasser.
    Tom erinnerte noch die plötzliche Stille, die grüngrauen Steine am Grund, die Luftblasen, sein treibendes Paddel und das Kanu über ihm. Das Wasser war so kalt, dass es weh tat. Er kämpfte sich an die Oberfläche, seine Kleidung wog schwer, seine Lungen zerbarsten beinahe. Er schnappte nach Luft und hielt nach Danny Ausschau. Keine Spur von dem Jungen. Tom schwamm im Kreis herum.
    »Danny! Danny!«
    Plötzlich sah er das rotweiße Mützchen auf der Wasseroberfläche auf und ab wippen und einen Moment später die angsterfüllten Augen seines Sohnes. Tom holte Luft und kämpfte sich zu ihm hinüber.
    »Daddy, geht es dir gut?«
    »Ja, und dir?«
    Danny nickte. Er klammerte sich an sein Paddel. Das Wasser war ruhig. Tom zog den Jungen ans Ufer und holte danach das Kanu. Sie hatten keine Kleidung zum Wechseln dabei, und als sie schließlich am verabredeten Treffpunkt eintrafen, zitterte Danny am ganzen Leib und klapperte mit den Zähnen. Als er seine Mutter am Ufer stehen sah, fing er an zu weinen.
    »Was ist passiert?«
    »Wir hatten einen kleinen Unfall«, erklärte Tom.
    »Herrgott, Tom.«
    Gina trug Danny zum Auto, zog ihm die nassen Sachen aus und wickelte ihn in ihren Pullover und Mantel. Sie saß auf dem Beifahrersitz, hielt Danny umschlungen und tröstete ihn, während Tom das Kanu auf dem Dachträger verstaute. Sie fuhren |86| nach Hause, das Schweigen zwischen ihnen war eisig. Als Tom zu ihr sah, starrte Gina vor sich hin, das Gesicht tränenüberströmt.
    Einen Monat lang, wann immer Tom die Augen schloss, spielte sich die Szene vor ihm ab. Die Luftblasen, das gekenterte Kanu, sein kleiner Sohn, der aus dem Wasser auftauchte.
Daddy, geht es dir gut?
Gina sagte dazu nichts. Auch wenn er sie anflehte, mit ihm darüber zu reden – sie sah keine Veranlassung. Und nichts, was er hätte sagen können, hätte ihre Meinung geändert. Schuld war seine Trinkerei. Er war als Vater ein Versager.
    An diesem Nachmittag war Tom beinahe der einzige Besucher im Museum. Die Sohlen seiner Schuhe quietschten auf dem polierten Boden. Er schritt von Raum zu Raum, suchte sein Lieblingsbild. Lange stand er vor dem Gemälde, für das Danny sich einst begeistert hatte. Es hieß
The Fireboat
. Vier tapfere Indianer auf einem felsigen Kliff, ein wundersam purpurner Abendhimmel hinter ihnen. Sie saßen hoch zu Ross und blickten amüsiert auf ein Dampfschiff, das unter ihnen flussaufwärts fuhr.
    »Wer ist auf dem Boot?«, hatte Danny wissen wollen.
    »Weiße Männer.«
    »Was wollen sie?«
    »Sie wollen das Land der Indianer.«
    »Bekommen sie es?«
    »O ja. Sie haben versprochen, es ihnen zu lassen, aber sie haben es bekommen.«
    Tom wollte das Gefühl von jenem Tag noch einmal heraufbeschwören. Kein Nachklang, nur die dumpfe Erinnerung an seinen längst verlorenen Sohn und sein verlorenes Ich.

|87| SIEBEN
    Tommy und Dickie saßen auf dem breiten cremefarbenen Rücksitz des Bentleys und blickten aus dem offenen Fenster auf die Horde, die sich um Ray Montane und Diane scharte. Die Jungen drängelten und schubsten, um ein Autogramm zu ergattern,

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