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Die wir am meisten lieben - Roman

Die wir am meisten lieben - Roman

Titel: Die wir am meisten lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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und riefen:
Red! Red!
Mit den Händen formten sie Pistolen und pusteten über Zeige- und Mittelfinger den aufsteigenden Rauch vom Lauf des gerade abgefeuerten Colts
,
das Markenzeichen von Red McGraw in
Sliprock
, genau wie der Satz, den er immer am Ende der Episode sagte:
See ya along the trail.
    Die Fotos, die Ray mitgebracht hatte, waren längst verteilt. Jetzt signierte er das Programm der Schulfeier und irgendwelche Fetzen Papier, die ihm hingehalten wurden. Diane stand neben ihm. Der Fotograf der Lokalzeitung, ein kleiner verschrumpelter Mann, dem der Schweiß im Gesicht stand, hatte fast hundert Fotos von ihnen gemacht, knipste aber fleißig weiter.
    »Red! Red! Unterschreib hier!«, riefen die Jungs. »Bitte! Diane! Du auch!«
    Charlie Chin Rawlston wich nicht von ihrer Seite, mimte den Mann von Wichtigkeit und passte auf, dass die Sache nicht aus dem Ruder lief. Er biederte sich bei Ray und Diane an, seit sie vor zwei Stunden aufgetaucht waren. Allerdings hätte dem alten Trottel erst einmal erklärt werden müssen, wer die beiden waren, meinte Dickie.
    Tommy konnte es noch immer nicht fassen, dass seine Schwester und Ray angereist waren. Im letzten Brief hatte seine Mutter geschrieben, sie und sein Vater kämen nicht zum Sommerfest, |88| dafür aber Diane. Ray Montane hatte sie nicht erwähnt. Vielleicht hatte es eine Überraschung werden sollen.
    Die war gelungen, zweifellos. Rays und Dianes Anwesenheit war wahrscheinlich die größte Sensation, seit der Schornstein von einem Blitz getroffen worden und auf den Morris Minor der Hausmutter gekracht war (leider hatte sie zu dem Zeitpunkt nicht drinnen gesessen). Die Ankunft der beiden war perfekt getimed. Eltern und Kinder hatten sich auf dem Sportplatz versammelt, machten ihr Mittagspicknick und sahen zu, wie das Cricketteam der Schüler seine jährliche Abreibung von den Vätern bekam. Die Autos der Eltern – Marke und Alter verrieten die gesellschaftliche Stellung – parkten dicht an dicht am Rand, dazwischen im feuchten Gras lagen Plaidtücher und Picknickkörbe.
    Niedergeschlagen und hungrig hatten Tommy und Dickie von den Stufen des Pavillons aus zugesehen. Da Dickies Eltern in Hongkong waren und niemals zu irgendwelchen Schulfestivitäten kamen, hatte Tommy ihn aufgefordert, mit ihm und Diane zusammen zu picknicken. Seine Schwester war schon zwei Stunden überfällig, und Tommy schämte sich, weil sie nicht kam. Der Anblick, wie sich alle ihre Sandwiches, Fleischpasteten und Hühnerbeine schmecken ließen, war fast unerträglich. Er wollte sich gerade zum zehnten Mal entschuldigen, als ein großer weißer Bentley durch das Schultor fuhr.
    Die Fenster waren abgedunkelt. Der Wagen glitt über das Gras und kam etwas abseits der anderen Autos zum Stehen. Mindestens dreihundert Augenpaare richteten sich auf ihn. Erwartungsvolle Stille lag über allem und lange geschah überhaupt nichts. Der Wagen parkte nur. Das Cricketspiel wurde unterbrochen. Alle Spieler, sogar die Schiedsrichter in ihren weißen Mänteln und Panamahüten, warteten gebannt, wer aussteigen würde.
    »Sieh doch«, sagte Dickie.
    |89| Die Fahrertür öffnete sich. Ein Chauffeur mit einer blauen Mütze und in Livree stieg aus und öffnete den hinteren Wagenschlag.
    »Du weißt schon, wer das ist, oder?«, flüsterte Dickie.
    »Natürlich nicht.«
    »Deine Schwester, du Depp. Schau!«
    Anmutig stieg Diane aus dem Wagen, lachte über irgendetwas, während sie sich das Kleid glattstrich und ihre Sonnenbrille richtig aufsetzte.
    »Meine Güte, sieh dir das an«, murmelte Dickie voller Staunen.
    »Und sieh nur, wer bei ihr ist!«
    Abgesehen von einem weißen Stetson war Ray vollkommen in Schwarz gekleidet. Er trug eine Schnürsenkel-Krawatte und einen Gürtel mit einer großen silbernen Schnalle, die die Form einer Klapperschlange hatte, Stiefel mit silbernen Spitzen und ein Hemd besetzt mit – so sah es wenigstens aus – Diamanten. Dickie meinte jedoch, es sei nur Strass, also nicht kostbar. Es fehlte nur der Pistolengürtel.
    Merkwürdigerweise fiel Rays Aufzug gar nicht weiter auf, denn alle hatten sich für das Sommerfest sonderbar zurechtgemacht. Charlie Chin, Ducky Lawrence und ein paar andere Lehrer hatten schwarze Talare an mit riesigen, mit rotem oder lila Satin abgesetzten Kapuzen. Alle Schüler und die übrigen Angestellten hatten sich Blumen und Farnzweige ans Revers geheftet, und manche Väter trugen knallbunte gestreifte Blazer. Die meisten Mütter und Schwestern hatten mit

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