Die wir am meisten lieben - Roman
nicht so hungrig, wie wir dachten.«
Gina lächelte den jungen Mann schuldbewusst an.
»Sorry«, sagte sie.
»Kein Problem. Darf ich Ihnen unsere Dessert Specials nennen?«
»Ich glaube nicht, danke. Vielleicht Kaffee.«
»Für mich auch.«
Eine Weile schwiegen sie und blickten hinaus auf die Straße. Es war ein wechselhafter Frühlingstag, eilende Wolken und plötzlich gleißendes Sonnenlicht, das Tom blendete. Er erkundigte sich nach Kelly, Dannys Freundin. Die beiden waren seit zwei Jahren zusammen, Tom hatte sie jedoch noch nicht kennengelernt. Gina sagte, das arme Mädchen mache eine schwere Zeit durch. Sie wolle nur, dass Danny schnell nach Hause komme.
»Wann wird das sein?«
»Dutch sagt, sie werden wahrscheinlich alle erst zum Golf hinuntergeflogen. Man will sie sobald wie möglich aus dem Kampfgebiet herausholen.«
|80| »Wissen wir etwas darüber, wen sie getötet haben sollen?«
Gina schluckte und starrte den Tisch an.
»Ein paar Frauen«, sagte sie kaum hörbar. »Und Kinder.«
»Oh.«
Sie wollte nicht weinen, doch dann rann eine Träne über ihre Wange. Sie wischte sie hastig mit dem Handrücken ab. Tom wollte ihre Hand halten. Entschied sich aber dagegen. Er sah, dass Gina sich über sich ärgerte und jeden Trost ablehnen würde.
»Ich bin der festen Überzeugung, dass wir ihm einen unabhängigen Anwalt besorgen sollten«, sagte er törichterweise.
»Verdammt, Tom! Du hast keine Ahnung von diesen Dingen, okay? Warum kannst du es nicht einfach denen überlassen, die sich damit auskennen?«
Der Kellner servierte den Kaffee. Tom machte sich auf irgendeinen aufmunternden, hirnverbrannten Kommentar gefasst, aber der Junge spürte die Stimmung und hielt den Blick gesenkt. Tom bat um die Rechnung.
»Es tut mir leid«, murmelte Gina.
»Ist schon in Ordnung. Sag mir Bescheid, wenn ich etwas tun kann.«
Er begleitete Gina zu ihrem Wagen. Keiner sagte ein Wort. Auf halbem Wege hakte sie sich bei ihm ein. Ihm stiegen Tränen in die Augen. Sie schien keine Notiz davon zu nehmen, und er bekam sich schnell wieder unter Kontrolle.
Nachdem sie sich verabschiedet hatten, lief Tom die 13. Straße hinunter in Richtung Charlie-Russell-Museum. Auf dem Bürgersteig rollten die Schatten der Wolken vorbei. Schon lange hatte er sich die Russell-Gemälde nicht mehr angesehen. Das letzte Mal, als Danny drei Jahre alt gewesen war. Kein anderer Maler hatte die Seele des amerikanischen Westens besser in seinen Gemälden eingefangen als Russell, fand Tom. Danny wurde damals in den Bann geschlagen von den Bildern mit Cowboys und Indianern |81| auf ihren wild dreinblickenden Pferden, den Büffeljägern, die über die weite rote Steppe jagten. Tom hatte den Jungen auf den Arm genommen, damit er besser sehen konnte. Jedes Bild erzählte eine Geschichte, und sie hatten sich im Flüsterton darüber unterhalten, was geschah, wer den ersten Schuss abgab, wohin die Indianer auf dem Hügel zeigten, warum die Männer den Wolf getötet hatten, was als Nächstes passieren würde.
In jener Zeit stand es zwischen ihm und Gina nicht mehr zum Besten. In den ersten Streits war es meist um ihre Familie gegangen. Ihr Vater hatte Tom nie akzeptiert und auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass seine »Prinzessin«, seine geliebte und einzige Tochter, einen besseren Mann verdient hatte. C. J. Laidlaw war ein Bulle von Mann, groß und breitschultrig, ein Ego und Temperament, das seinesgleichen suchte. Seine Ansichten, insbesondere seine politischen, waren das ganze Gegenteil von Toms. Immer wieder provozierte er seinen Schwiegersohn, wollte ihn zu einer liberalen Äußerung hinreißen, die er dann niedermachen konnte. Herablassend erkundigte er sich nach Toms Arbeit, seinen frühen und zumeist unveröffentlichten Anstrengungen als Autor und besonders seinem Interesse für die Blackfeet-Indianer. Er war ohne Frage der Meinung, dass sein Schwiegersohn sich einen anständigen Job suchen sollte.
In den ersten Jahren seiner Ehe lächelte Tom und versuchte, sich nicht in Auseinandersetzungen verwickeln zu lassen, aber nach Dannys Geburt begann er sich zu verteidigen. Zu Thanksgiving, kurz nach Dannys drittem Geburtstag, hatten C. J. und er nach dem Abendessen einen heftigen Streit über die Außenpolitik von Reagan. Gina ergriff Partei für ihren Vater. Danach veränderten die Dinge sich.
Und um diese Zeit geriet auch Toms Trinkerei außer Kontrolle. Sogar nach Jahren der Therapie und Treffen mit den Anonymen Alkoholikern konnte er nicht
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