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Die wir am meisten lieben - Roman

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Titel: Die wir am meisten lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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zu tun. Und als Diane sagte, sie könne nicht anders, hatte er widerwillig zugestimmt, dass sie, wenn sie mit Tommy von der Schule |95| nach Hause käme, erst einmal gemeinsam zu Abend essen und es ihm dann so sanft und liebevoll wie möglich beibringen wollten. Doch die Luft war zum Schneiden dick. Jetzt oder nie. Diane stand noch in der Tür. Alle starrten sie an. Der Fernseher dröhnte.
    »Was ist denn?«, fragte Tommy. »Was habt ihr denn alle?«
    »Verdammt, Diane«, sagte ihre Mutter. »Bringen wir es hinter uns.«
    Diane ging hinüber zum Fernseher und schaltete ihn aus. Dann setzte sie sich ans andere Ende des Sofas. Sie lächelte gekünstelt. Es war, als sei all ihre Schauspielkunst von ihr abgefallen. Sie klopfte auf das Kissen neben sich.
    »Tommy, Liebling, setz dich. Ich muss dir etwas sagen.«
    »Was?«
    Jetzt war er nicht nur verwirrt, sondern auch verängstigt. Zögernd näherte er sich und setzte sich neben sie. Diane nahm seine Hand.
    »Tommy, es ist etwas, was ich dir schon sehr lange sagen möchte. Dein ganzes Leben lang. Aber ich hatte nie den Mut.«
    Sie sah zu ihren Eltern. Ihre Mutter schüttelte den Kopf, seufzte und wandte den Blick ab.
    »In all den Jahren, mein Schatz, hast du gedacht, ich sei deine Schwester. Aber das bin ich nicht.«
    »Was?«
    »Tommy … Ich bin deine Mutter.«
    Tommy lachte verwirrt.
    »Soll das ein Witz sein oder ein Trick oder so was?«
    Er sah sie alle nacheinander an. An ihren Gesichtern konnte er erkennen, dass es kein Witz war.
    »Ich war sehr jung, als du geboren wurdest. Erst sechzehn Jahre alt. Wir haben damals gedacht, es sei besser, wenigstens vorläufig, wenn alle glaubten, ich sei nicht deine Mutter, sondern … deine Schwester.«
    |96| Sie machte einen lausigen Job, es war unglaublich. Normalerweise vergaß sie ihre Zeilen nicht. Aber jetzt, als es darauf ankam, fiel ihr nichts von dem ein, was sie hatte sagen wollen.
    »Warum?«, sagte Tommy. »Das verstehe ich nicht.«
    Diane sah wieder ihre Mutter an. Jetzt in der Hoffnung, dass sie ihr zur Seite spränge. Aber es lag kein Ausdruck von Gnade in ihrem vom Alkohol entstellten Gesicht, lediglich tiefste Missbilligung. Ihr Vater sah tief unglücklich aus und hatte die Stirn in die Hand gelegt.
    »Tommy, ich war jung. Ich ging noch zur Schule. Wenn Mädchen in dem Alter schwanger sind, haben sie eine …«
    »Diane, bitte«, unterbrach ihre Mutter. »Er ist noch ein Kind. Erspare dir die Einzelheiten.«
    Diane ignorierte sie.
    »Manchmal, Tommy, wenn Frauen schwanger werden, aber das Baby nicht haben wollen, dann können sie … Ärzte können eine Operation vornehmen, damit das Baby nicht auf die Welt kommt. Das wollte ich nicht. Ich wollte dich. Ich …«
    Diane brach in Tränen aus. Wie aus dem Nichts. Das war das Letzte, was sie gewollt hatte. Sie wollte stark sein. Und liebevoll. Wie eine Mutter. Sie wischte sich verärgert die Tränen fort.
    »Entschuldige. Es ist nur …«
    Tommy legte seine Arme um sie, umklammerte sie. Das machte es nur noch schlimmer. Diane schluchzte und konnte nicht aufhören. Sie umarmte ihn, und dann weinte auch er. Alles ging schief. Sie hatte es vollkommen vermasselt. Tränenüberströmt sah sie, wie ihre Mutter sich erhob, sich das Glas schnappte und aus dem Zimmer ging.
    »Joan, Liebling, bitte«, rief ihr Vater ihr nach.
    »Tut mir leid, aber ich kann mir das nicht länger mitanhören.«
    »Joan …«
    Er erhob sich und eilte ihr hinterher. Wahrscheinlich war es |97| besser so, dachte Diane. Sie hatte gedacht, es sei klug, es Tommy zu sagen, wenn sie drei ihm das Gefühl geben konnten, dass alles in Ordnung sei. Aber sie hatte sich etwas vorgemacht, wenn sie geglaubt hatte, es könnte funktionieren. Die Feindseligkeit ihrer Mutter konnte man nicht einfach beiseitewischen. Diane drückte Tommy noch fester an sich. Dann schob sie ihn von sich und sah ihn an. Ihren Sohn. Ihren armen Liebling. Er weinte. Sein Gesicht war gerötet. Vielleicht hatte sie einen furchtbaren Fehler begangen.
    »Ich weiß, es ist ein entsetzlicher Schock. Aber wir sind immer noch dieselben. Wir lieben dich.«
    »Warum erzählst du mir das alles?« Er schniefte. »Warum jetzt?«
    »Weil ich dich liebe. Ich bin stolz auf dich. Und jeder soll wissen, dass ich deine Mutter bin.«
    »Dann sind Mom und Dad, ich meine, nicht …«
    »Sie sind deine Großeltern, mein Liebling.«
    »Ihr habt gesagt, ich habe keine Großeltern. Dass sie gestorben sind.«
    Er sah so unglücklich und durcheinander aus. Er

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