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Die wir am meisten lieben - Roman

Die wir am meisten lieben - Roman

Titel: Die wir am meisten lieben - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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auf dem Gang, ein Schatten unter der Tür, ein Auge im Spion, das Klicken eines Schlüssels im Schloss, die Tür fing an, sich zu öffnen.
     
    Der Herbst löste den Sommer ab, und Karen O’Keefe half Tom, einen klaren Kopf zu bewahren. Sie war viel unterwegs, recherchierte und drehte Interviews für
Walking Wounded
. Wenn sie in Missoula war, wo sie bei ihrer Mutter wohnte, besuchte sie ihn zwei- oder dreimal in der Woche. Sie aßen zusammen zu Abend und sahen das Material für den Film über die Holy Familiy Mission durch. Karen hatte einen dramatisierten Dokumentarfilm im Sinn und ein Exposés geschrieben. Tom gefiel |258| es sehr. Sie hatte gestöbert und interessantes neues Material gefunden, sogar Fotos, von denen Tom nichts gewusst hatte. Sie hatte außerdem das Tagebuch eines italienischen Jesuitenpriesters entdeckt, der die Anstalt geleitet hatte.
    Gemeinsam gingen sie mit Makwi spazieren, die sie ebenso gerne hatte wie Tom. Manchmal joggten sie zusammen. Alles rein platonisch. Allerdings musste Tom sich in Zurückhaltung üben. Was Karen anging, war er sich nicht sicher. Sie schien ihn sehr zu mögen. Und er wusste jetzt auch mehr über sie. Sie war dreiunddreißig Jahre alt und hatte in den letzten sieben Jahren in Vail gewohnt, wo sie eine Affäre mit einem Skilehrer gehabt hatte. Der hatte ihr in einem fort versprochen, er werde seine Frau verlassen. Irgendwann verließ Karen ihn.
    Seine Gefühle für sie verwirrten Tom (oder genauer, was an ihnen angemessen war, denn Lust war ein unbändiges Biest und nicht einfach in Schach zu halten). Egal! Sie verbrachten gerne ihre Zeit miteinander; ihre Gesellschaft tat ihm gut, und er fühlte sich so jung und lebendig wie schon lange nicht mehr. Noch wichtiger aber war, dass er nicht mehr an ihren Motiven zweifelte. Karen machte keinen Hehl daraus, dass sie Danny, vorausgesetzt, er willigte ein, kennenlernen und ihn für
Walking Wounded
interviewen wollte.
    Diese Möglichkeit ergab sich wahrscheinlich zu Thanksgiving. Danny hatte vor, die Feiertage bei Gina und Dutch in Great Falls zu verbringen. Die Beziehungen waren inzwischen freundschaftlich, und Gina hatte sogar Tom eingeladen. Er war gerührt, war sich jedoch nicht sicher, ob er zu einem Treffen schon in der Lage war, und lehnte dankend ab; er sagte, er habe bereits eine andere Dinner-Einladung. Am Wochenende wollte Danny nach Missoula kommen.
    Tom hatte tatsächlich anderweitige Pläne. Karen hatte ihn zum Thanksgiving-Dinner bei ihrer Mutter eingeladen, nur eben an einem anderen Tag.
    |259| »Meine Mutter macht mich wahnsinnig, löchert mich die ganze Zeit, wann sie dich endlich kennenlernen wird. Sie sagt, wenn du nicht kommst, dann holt sie dich eigenhändig.«
    »Ich weiß nicht, was aufregender klingt.«
    »Ein Dinner, glaub mir.«
    Beinahe ein Jahrzehnt hatten Thanksgiving und Weihnachten für Tom nicht existiert. Er hatte so viele Einladungen ausgeschlagen, dass ihn schließlich niemand mehr fragte. Wäre es nicht Karen gewesen, er hätte auch diesmal abgelehnt. Als der Tag kam, war er froh, dass er es nicht getan hatte. Lois O’Keefe sah mindestens fünf Jahre jünger aus, als Tom sie schätzte – und die Ähnlichkeit mit ihrer Tochter war frappierend. Sie hatte einen schwarzen Humor und neckte ihn vom ersten Augenblick an, am meisten mit dem toten, über alle Maßen betrauerten Kater Maurice.
    »Um Ihnen die Wahrheit zu sagen, Tom. Norm hat diese jämmerliche Kreatur angebracht.«
    »Norm?«
    »Mein Exfreund. Er schwärmte für den Kater. Wie sich herausstellte, mehr für ihn als für mich. Sie hatten die gleichen blauen Augen. Nachdem Norm geflohen war, fand ich das ein wenig unangenehm. Als sei der Hurensohn noch immer hier und starre mich an. Sind Sie ein Flüchtling, Tom?«
    »Aus technischer Sicht eher ein Fliehender.«
    »Ah, na bitte. Dann haben wir etwas gemeinsam. Auf alle Fliehenden.«
    Die anderen Gäste waren eine charmant zusammengewürfelte Runde von Geschiedenen und Vertriebenen. Eine freundliche alte Tante aus Chicago, ein Herzchirurg aus Vancouver, ohne Frage einer von Lois’ Verflossenen (laut Karen gab es davon einige), eine Professorin für Botanik von der University in Montana und ihr stattlicher, wenn auch etwas dümmlicher Freund, und Günter, ein zuvorkommender New Yorker mit traurigen Augen, |260| der rätselhafte Dinge mit dem Geld anderer Leute anstellte und sich dafür einigermaßen schämte.
    Tom saß zwischen Lois und Karen und fühlte sich geehrt. Das Essen war

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