Die Witwe
herunterblickend.
Eins ging daraus klar hervor.
Sie hatte nichts unter dem Hemd getragen. »Bist du sicher, daß du mich nicht
heiraten willst?« fragte sie leise.
»Das ist so ziemlich das
einzige, dessen ich sicher bin«, sagte ich. »Im übrigen bin ich verwirrt.«
»Wir könnten sofort eine Sondergenehmigung
für die Heirat bekommen«, sagte sie. »Wäre es denn so schlimm, mit mir
verheiratet zu sein?«
»Du nimmst diese Sonnenanbetung
wirklich ernst«, sagte ich. »Du bist überall gebräunt.«
»Du lenkst schon wieder vom
Thema ab«, sagte sie. »Das ist deine letzte Chance, Al Wheeler. Wirst du mich
heiraten?«
»Ich glaube nicht«, sagte ich.
Sie bückte sich, hob das weiße
Hemd auf und zog es sich über den Kopf. Sie schlüpfte auf typisch weibliche Art
hinein, indem sie es mit heftigen Schulterbewegungen über Brust und Hüften zog.
Es erinnerte an die Glanzzeiten der großen Revuen.
»Es tut mir leid, daß du so
bald wieder gehen mußt«, sagte sie mit spröder Stimme. »Aber du langweilst mich
plötzlich, Al Wheeler.«
Ich trank mein Glas leer und
stand auf. Langsam ging ich auf die Tür zu. Candy blieb stehen und behielt mich
im Auge. Ich war bei der Tür angelangt und blickte zu ihr zurück. »Ich kann dir
sagen, wovor sich Romair fürchtet. Weisman erpreßt ihn, und Edgar zahlt nicht
gern. Aber der Gedanke, zu erzählen, weshalb er erpreßt wird, ist ihm noch mehr
zuwider. Geht es dir vielleicht ähnlich?«
»Mach, daß du rauskommst!«
sagte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
»Julia Grant ist ermordet
worden«, sagte ich. »Vielleicht solltest du mir besser erzählen, was dich
ängstigt. Und ich würde es an deiner Stelle bald tun, sonst ist es vielleicht
zu spät.«
»Raus!« Sie nahm eine Flasche
von der Bar und warf sie nach mir.
Also ging ich hinaus.
Es war wie bei der nächtlichen
Stadtrundfahrt des Jahres, aber ohne jeden Fremdenführer. Ein weiterer Besuch
würde die Tour jedoch beenden. Ich beschloß, Harry Weisman aufzusuchen. Es
begann wieder spät zu werden und selbst wenn ich keine vierundzwanzig Stunden
mehr bis zu der von Lavers gesetzten Zeitgrenze hatte, so hätte ich in
Anbetracht dessen, was mir die Nacht zu bieten hatte, ebensogut im Bett liegen können.
Ich parkte den Healey vor dem
Wohngebäude und stieg die Treppe hinauf. Ich preßte den Finger auf den Summer
und zündete mir, während ich wartete, eine Zigarette an. Ein paar Sekunden lang
ereignete sich gar nichts. Ich drückte erneut auf den Summer, und zwar im
Rhythmus der beiden Takte aus der Wilhelm-Tell-Ouvertüre. Ich dachte, daß dies Weisman, sofern er nicht tot war, wecken müßte.
Wie auf ein Stichwort hin hörte
ich ein schwaches Geräusch hinter der Tür. Dann schwang sie langsam auf, und
Harry Weisman stand da, mich anstarrend.
Seine Augen quollen fast aus
den Höhlen, und seine beiden Hände umklammerten die Magengegend. Zwischen den
verkrampften Fingern ragte ein Messergriff hervor.
Er stöhnte, und dann gaben
seine Knie langsam unter ihm nach, und er glitt nach vorn auf den Boden. Einmal
zuckte er krampfhaft, bevor sein Gesicht auf dem Boden aufschlug und er
stillag.
Ich zog die Achtunddreißiger aus dem Holster und schloß die Wohnungstür hinter mir. Für Weisman konnte ich
wohl nicht mehr viel tun, aber wenn derjenige, der ihn umgebracht hatte, sich
noch in der Wohnung befand, so gab es eine ganze Menge, was er mir antun
konnte.
Es dauerte etwa eine halbe
Minute, bis ich die Wohnung durchsucht und festgestellt hatte, daß sich niemand
in ihr aufhielt. Das Badezimmerfenster stand weit offen, und die Vorhänge
bewegten sich leicht im Wind. Ich blickte hinaus und stellte fest, daß das
Fenster auf die Feuertreppe hinausführte. Der Mörder mußte auf diesem Weg
entkommen sein, während ich auf dem Summer Melodien geklimpert hatte.
Ich kehrte langsam ins
Wohnzimmer zurück und griff nach Weismans Puls. Harry war tot. Der Messergriff
wirkte vertraut. Es sah so aus, als handelte es sich um den zweiten der beiden
Dolche, die in Stella Gibbs Eßzimmer an der Wand
gehangen hatten.
Ich trat über Weismans Leiche
weg und ging zum Telefon hinüber. Ich sah im Telefonbuch nach und wählte dann
Stellas Nummer. Etwa eine Minute lang ließ ich das Rufzeichen ertönen. Niemand
meldete sich. Ich suchte Candy Logans Nummer heraus und wählte sie
anschließend. Sie meldete sich nach dem dritten Rufzeichen.
»Candy?« Ich ließ meine Stimme
so heiser wie möglich klingen.
»Ja«, sagte sie
Weitere Kostenlose Bücher