Die Witwen von Paradise Bay - Roman
Krebs war es denn?« Das ist ja wohl die Standardfrage, sobald die Rede auf diese Krankheit kommt.
»Hodenkrebs«, sagt Clara nach einer Weile. »Ihm wurde der linke Hoden entfernt, aber da war der Krebs schon in den rechten gewandert. Das muss man sich vorstellen, dem armen Kerl haben sie noch vor seinem Tod die Eier abgeschnitten.«
So etwas zu hören ist befremdlich, aber ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die Trauer das Denkvermögen beeinträchtigt und man Dinge sagt und tut, die man sich unter normalen Umständen niemals hätte träumen lassen.
»Na, jedenfalls«, fährt Clara fort, »ist er tot und beerdigt, und wir müssen darüber auch gar nicht weiter reden, obwohl wir wahrscheinlich nächste Woche eine kleine Gedenkfeier abhalten werden. Aber ich mache mir Sorgen um Prissy, und deshalb rufe ich an. Ich dachte, es würde ihr helfen, wenn sie mit jemandem reden könnte, der etwas Ähnliches durchgemacht hat. Vielleicht könnte sie Ihnen ab und zu auf dem Markt helfen. Es wäre gut, wenn sie ein wenig unter Leute käme, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Natürlich«, antworte ich leise. »Ich treffe mich gerne mit ihr … um darüber zu reden.« Kaum habe ich aufgelegt, bedaure ich meine Entscheidung schon, denn ich werde keine große Hilfe sein. Ich bin doch selbst erst dabei, meine Trauer loszulassen, und ich habe Angst, dass mich in Prissys Gegenwart die Trauer mit neuer Wucht packt.
Auf der Fensterbank kühlen meine Torten ab. Bei diesem Anblick spüre ich die üblichen Stiche in der Brust. Erdbeer-Rhabarber-Kuchen mochte Joseph am liebsten, und jedes Mal, wenn ich ihn backe, muss ich daran denken, wie Joseph ab und zu am frühen Nachmittag überraschend nach Hause kam und behauptete, er könne den Kuchen bis zur Deponie riechen. Dann hat er sich ein Stück abgeschnitten, es mit drei Bissen aufgegessen, mir mit seinen erdbeerbefleckten Lippen einen flüchtigen Wangenkuss gegeben, und schon fuhr er wieder zurück zur Arbeit. Ich habe Joseph nie gesagt, dass diese Besuche für mich der Höhepunkt des Tages waren. Warum eigentlich nicht?
Nach seinem Tod habe ich wochenlang Erdbeer-Rhabarber-Kuchen gebacken und zum Abkühlen auf den Tisch gestellt. Ich habe mich hingesetzt und darauf gewartet, dass Joseph durch die Tür stolpert und mich bittet, ihm ein Scheibchen abzuschneiden, womit er ein Viertel vom Kuchen meinte. Ich habe stundenlang reglos verharrt, in meiner fleckigen Schürze, auf das Geräusch seines Geländewagens gewartet und gespannt zur Tür geschaut. Erst wenn es dunkel wurde, bin ich aufgestanden, habe den Kuchen in die Tiefkühltruhe gelegt und den Abwasch gemacht. Im Badezimmer habe ich die Verschlusskappe von Josephs Rasierwasser abgeschraubt, die Flasche unter meine Nase gehalten und daran geschnüffelt. Ich habe mir sein Rasierwasser hinter die Ohren getupft, damit ich ihn an mir riechen konnte. Dann bin ich ins Schlafzimmer gegangen und habe die Betten aufgeschlagen. Ich habe mich an seinen Platz gelegt, denn ich konnte es nicht ertragen, dass seine Hälfte kalt war, mein Gesicht in seinem Kissen verborgen und geweint. Und am nächsten Tag begann alles von vorne.
Ich hatte jegliches Interesse an meinem Äußeren verloren. Ich habe mich fast zwei Wochen lang nicht geduscht, mir nicht einmal die Zähne geputzt. Ich sah in nichts mehr einen Sinn. Joseph war tot, die Beerdigung vorbei, und ich konnte mich ungestört in Selbstmitleid ergehen. Anfangs kamen noch die Nachbarn, um nach mir zu schauen und mir Essen zu bringen, doch mir waren ihre Besuche lästig. Sie störten mich in meinem Elend, aus dem ich nicht herausgerissen werden wollte. Meine ungepflegte Erscheinung brachte sie ohnehin in Verlegenheit, und meine höfliche Entschuldigung, ich könne ihnen kein Stück Kuchen anbieten, weil ich es für Joseph aufheben müsse, war wohl so befremdlich, dass nur die ganz Hartnäckigen weiterhin an meine Tür klopften. Selbst sie gaben es irgendwann auf, mich in blödsinnige Gespräche über Mildred Peach und ihre Blaubeer-Marmelade oder Ches Crocker und seinen Sturz aufs Eis samt der gebrochenen Wirbel zu verwickeln.
Ich habe tagelang über all die Dinge geweint, die Joseph und ich geplant, aber nie getan haben. Wir wollten durch ganz Kanada reisen und in jeder Provinz wenigstens einmal übernachten; wir wollten erleben, wie Josephs geliebtes Eishockeyteam, die Maple Leafs, den Stanley Cup gewinnen, und natürlich wollten wir Kinder haben. Ich habe alle künftigen Feiertage beweint,
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