Die Witwen von Paradise Bay - Roman
aber das wär ich auch, wenn ich mit so einem trotteligen Scheißkerl verheiratet wäre.« Mom zieht erneut an ihrer Zigarette. »Nicht, dass du es viel besser getroffen hättest.«
Rauch quillt ihr aus Mund und Nase. Es ist wirklich erstaunlich, wie sie jede Wendung dieses Gesprächs zurück auf das Thema Howie bringen kann.
»Wir machen eine schwere Phase durch, das ist alles.« Ich schaue auf den Grund meiner Tasse. Wieso glauben manche Menschen eigentlich, ihr Schicksal stünde in Teeblättern oder im Kaffeesatz geschrieben? Ich spüre die Blicke meiner Mutter, aber ich sehe nicht hoch.
»Ach, so nennst du das? Eine schwere Phase?« Sie drückt ihre Zigarette aus, als wollte sie ihre Frage damit akzentuieren, steht auf und holt eine Zeitung von der Anrichte.
»Na, dann lies mal. Das wird dich aufmuntern«, sagt sie so zufrieden wie eine satte Katze.
Vor mir liegt eine Ausgabe des Telegram , auf der Titelseite prangt das Foto eines Hausbrands in St. John’s. »Die Zeitung?«, frage ich verwirrt. Ich bin müde und nicht in der Stimmung, mich über die Fischindustrie oder die aktuellen Verhandlungen zwischen Regierung und Gewerkschaften zu informieren. »Ich hab jetzt wirklich keine Lust, Zeitung zu lesen.«
Mom ignoriert meinen Einwand und blättert zu einer ganz bestimmten Seite. »Zu deiner Information, Prissy, es geht um die Todesanzeigen.«
Jetzt ist meine Neugierde angestachelt: »Wer ist denn gestorben?«
Mit einem selbstgefälligen Grinsen gibt mir meine Mutter die Zeitung zurück und weist mit gelbem Finger auf die Seite. »Lies einfach«, sagt sie triumphierend und zündet sich eine weitere Zigarette an, obwohl sie die letzte gerade erst ausgemacht hat.
Wessen Tod bereitet meiner Mutter bloß so eine diebische Freude? Widerstrebend schaue ich hin.
Howard John Montgomery, 1963–2010, aus Toronto, verstarb friedlich in seinem Heim. Um ihn trauern seine Ehefrau Priscilla, geborene Hallorhan, aus Paradise Bay, sowie sein Sohn Quentin. Die Beerdigung erfolgte bereits am Dienstag in Barrie, dem Heimatort des Verstorbenen. Anstelle von Blumen bitten wir um Spenden für die Kanadische Krebshilfe.
Weil ich es nicht begreife, lese ich den Text noch einmal. Ich bin so verwirrt, dass ich mich frage, ob Howie vielleicht doch heute Morgen gestorben ist. Oder vielleicht lebe ich in einem Paralleluniversum, in dem ein anderer Howard Montgomery eine andere Priscilla Hallorhan geheiratet hat und ein Kind namens Quentin hatte. Wie man es auch dreht und wendet, es ergibt keinen Sinn.
»Das verstehe ich nicht. Howie ist nicht tot«, sage ich entgeistert.
»Na, ich weiß das, aber das müssen die ja nicht wissen«, sagt Mom und weist auf die Hintertür. »Stell dir vor, was da los wäre, die ganze Stadt würde sich das Maul darüber zerreißen, weil Howard fremdgegangen ist und dich und Quentin verlassen hat. Du würdest zum Gespött der Leute. Seit du damals mit ihm abgehauen bist, warten hier doch nur alle darauf, dass du mit eingeklemmtem Schwanz zurückkehrst.«
Meine Mutter spricht weiter, aber ich höre schon nicht mehr zu. »Das stammt von dir?«, frage ich ungläubig. »Ich fasse es nicht.« Ich bin völlig schockiert, dabei sieht es meiner Mutter ähnlich, ihren Beistand auf so ungeheuerliche Weise zu zeigen.
»Natürlich stammt das von mir«, sagt sie mit stolzgeschwellter Brust. »Dafür hab ich fünfzig Cent pro Wort bezahlt. Deshalb bin ich nicht zu sehr ins Detail gegangen. Außerdem, je weniger Details, umso schwerer kommen sie uns auf die Schliche.«
Uns? Seit wann bin ich ihre Komplizin bei diesem Wahnsinn? »Mom, eine Scheidung bedeutet heutzutage keine Schande mehr. Das ist normal.«
»Ich lasse nicht zu, dass meine Tochter zur Witzfigur wird, nur weil ihr Mann sie wegen einer anderen verlassen hat.«
Meine Mutter war immer sehr direkt, und ihre Worte treffen mich bis ins Mark. »Mom, da mache ich nicht mit«, entgegne ich entschieden. »Howie lebt, und nur damit du’s weißt, er hat mich nicht wegen einer anderen verlassen. Er ist nicht mal mehr mit ihr zusammen. Er braucht nur etwas Zeit. Hör zu, in ein paar Wochen hat sich alles wieder beruhigt, und dann kommt Howie her und holt uns ab. Er muss halt was mit sich ausfechten. Er wird schon wieder normal«, füge ich mit Nachdruck hinzu, doch wirklich überzeugt bin ich von meinen Worten nicht.
»Red keinen Blödsinn, Prissy, von Howard Montgomery siehst und hörst du nichts mehr.« Mom drückt ihre nicht einmal halb gerauchte Zigarette
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