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Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Titel: Die Witwen von Paradise Bay - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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Howies Ankündigung zu verdauen und mich ein wenig zu sammeln, und schon macht mich meine Mutter zur Witwe und Karamellverkäuferin.
    Bei einem Behälter mit gebackenen Bohnen rümpft meine Mutter die Nase. »Davon kriegt man die Scheißerei«, murmelt sie, schaufelt mir aber trotzdem einen Löffel auf den Teller. Dann häuft sie Hühnerfleisch daneben, einen Berg Kartoffelsalat und Makkaroni-Auflauf. Erstaunlicherweise reagiert mein Magen auf den Anblick mit einem lauten Grummeln. Ich habe in den letzten beiden Tagen nicht gerade viel gegessen und merke erst jetzt, wie hungrig ich bin. Als mein Bruder Charlie durch die Hintertür in die Küche kommt, nage ich schon an einem Hühnerflügel.
    Er eilt auf mich zu und umarmt mich so ungestüm, dass mir die Luft wegbleibt. Ich lache aus ehrlicher Freude und umarme ihn auch. Er sieht wie immer aus, groß und dünn. Sein Haar ist so goldblond wie meins und auch fast genauso lang. Er hat sich ein Ziegenbärtchen wachsen lassen, was ihm einen leicht verwegenen Ausdruck verleiht, dabei ist Charlie völlig harmlos. Mich überrascht seine Freude über unser Wiedersehen, meine eigene allerdings auch.
    »Hey, Miss Priss«, sagt Charlie, und ich lächele wehmütig beim Klang des Spitznamens, den ich als Mädchen so gehasst habe. »Scheiße, Mann, wie geht’s dir?«
    Mein Bruder hat eine ziemlich derbe Ausdrucksweise, meint es aber nicht so – falls das überhaupt möglich ist. Jedenfalls sagt er nie, dass sich jemand verpissen oder ins Knie ficken solle. Charlie benutzt das Wort Sch… als eine Art universelles Adjektiv, mit dem sich beinahe alles beschreiben lässt. Ihm ist entweder scheißkalt oder scheißwarm, er ist scheißhungrig oder scheißmüde, Scheißgeld hat er nie, und bei Tisch lässt er sich das Scheißsalz geben. Nach einer Weile fällt es einem nicht mehr auf, aber Quentin kichert über Charlies obszöne Ausdrucksweise. Ich könnte Charlie bitten, sich in Quentins Gegenwart zu mäßigen, doch das wäre vergebliche Liebesmüh. So drückt er sich nun einmal aus.
    Über die Essensberge jedenfalls scheint sich Charlie nicht zu wundern. Er nimmt sich gleich einen Teller und schaufelt ihn voll. »Ich bin scheißhungrig wie ein Bär«, sagt er zwischen einem Brötchen und einem Truthahnschenkel. Ich vergesse immer, was für einen erstaunlichen Stoffwechsel er hat. Charlie ist geradezu dürr, doch auf seinem Teller häufen sich Berge. Wenn meine Mutter ihn ließe, würde er zum Nachtisch noch den gesamten Block Karamell essen. Als ich hinüber zu meinem Sohn blicke, sehe ich Charlie als Teenager vor mir. Ich fahre meinem Bruder liebevoll übers Haar. Er sieht mich misstrauisch an, solche Gesten sind ihm nicht geheuer.
    »Wie schlägst du dich, Priss?« Er wirkt voll des Mitleids, und das gibt mir endgültig den Rest. Schließlich bin ich die große Schwester, die Reife, Vernünftige von uns beiden.
    »Ach, egal«, sage ich und ziehe eine Grimasse. Ich versuche, die Tatsache, dass mich mein Mann nach sechzehn Jahren Ehe verlassen hat, mit einer Handbewegung abzutun, so als hätte ich einen Job verloren, den ich sowieso leid war.
    »Ich kann das mit Howie echt nich fassen.« Charlie hat meinen Wink offensichtlich missverstanden und redet sich richtig in Rage. »Also, als Mom mir das erzählt hat, hab ich nur gesagt: ›Scheiße, das darf doch nich wahr sein!‹. Aber was will man machen? Und das war sicher nicht das erste Mal. Der betrügt dich bestimmt schon seit Jahren.« Charlies Worte verderben mir schlagartig den Appetit. Ich schiebe den Teller weit von mir.
    Meine Mutter eilt zu meiner Verteidigung herbei und gibt Charlie einen Klaps auf den Hinterkopf, der durch die ganze Küche hallt. »Was verdammt ist mit dir los? Ehrlich, Charlie, manchmal glaub ich, du hast kein Hirn, sondern Scheiße im Kopf. Deshalb hast du auch keine Freundin, weil du einfach nicht weißt, wie man mit Frauen spricht.«
    »Ist schon okay, Mom. Vergiss es, bitte.« Ich hasse es, wenn am Küchentisch darüber geredet wird, und eigentlich möchte ich gar nicht darüber reden.
    »Ich wollte nichts unterstellen«, sagt Charlie.
    Ich trinke einen Schluck Tee, damit meine Hände etwas zu tun haben. »Ist schon okay«, wiederhole ich. »Wechseln wir das Thema.«
    Das scheint auch in Charlies Sinn zu sein, und er schaufelt sich Kartoffelsalat in den Mund. »Und, wie lang willst du bleiben?«
    Warum stellen mir alle dieselbe Frage? So muss ich gleich wieder an das Telefonat mit Howie denken, und mir

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