Die Witwen von Paradise Bay - Roman
Telefonbuch der einzigen Telefongesellschaft. Der Tisch ist erst fünfzig Jahre alt und schon ein Relikt. Vor einer Woche erst hatte ich genauso über meinen Mann geurteilt. Ich blicke eine Weile auf das glänzende schwarze Wahltelefon, um Atem zu schöpfen. Der Hörer liegt schwer in meiner Hand.
»Hallo!« Ich versuche zu klingen, als hätte ich eben noch in fröhlicher Runde am Küchentisch gesessen und mit Familie und Freunden geplaudert. Mein Herz schlägt schneller, und unter den Armen und zwischen den Brüsten sammeln sich Schweißperlen.
»Prissy«, sagt Howie tonlos, »du solltest doch Bescheid geben, wenn du gut angekommen bist. Ich habe den ganzen Morgen lang versucht, dich zu erreichen, aber du hast wohl dein Handy ausgeschaltet.«
Ich fühle mich wie ein gemaßregeltes Kind. »Tut mir leid. Ich musste es ausschalten, als ich ins Flugzeug gestiegen bin, und hab wohl vergessen, es wieder anzumachen.«
Ich zupfe an der Tapete herum, genau wie vor sechzehn Jahren, als Howie und ich so lange miteinander telefoniert haben, dass meine Eltern irgendwann brüllten, ich solle endlich auflegen. Damals waren Ferngespräche ein Luxus, den man sich nur an Feier- und Geburtstagen gönnte, und die Telefonetikette erforderte, dass der Angerufene das Gespräch mit dem Satz beendete: »Wir machen besser Schluss, das kostet dich ein Vermögen.«
»Wie geht’s Quentin?«, fragt Howie voll väterlicher Besorgnis, was mich aufs Neue provoziert, schließlich ist das doch alles seine Schuld.
»Großartig«, antworte ich ausweichend, denn ich war viel zu sehr mit meinem eigenen Elend befasst, um mich der Not meines Kindes zu widmen. Quentin schläft wahrscheinlich immer noch, im ehemaligen Kinderzimmer meines Bruders.
Es tritt eine unangenehme Gesprächspause ein. Ich mustere die braunen Streifen auf der Tapete und warte darauf, dass Howie irgendetwas sagt. Ich warte vor allem auf sein Eingeständnis, dass er ein Dummkopf ist, mich immer noch liebt und mich anfleht, es noch einmal mit ihm zu versuchen.
»Wann kommst du nach Hause?«, fragt er schließlich, und während ich überlege, ob ich ihn leiden lassen und einige Tage bleiben oder gleich ins nächste Flugzeug steigen soll, meldet sich meine Mutter vom Nebenapparat in der Küche her:
»Sie ist zu Hause, du Hurensohn.«
»Mom, würdest du bitte auflegen!«, rufe ich und komme mir wieder wie ein Teenager vor. Ich warte, bis ihr Telefonhörer klickt. »Ich bin erst gestern Abend eingetroffen, Howie. Was soll das?« Bestimmt vermisst er mich jetzt schon. Unbewusst halte ich den Atem an.
»Nun ja, du bist ziemlich … abrupt aufgebrochen, und wir hatten noch keine Gelegenheit, über die Unterhaltsregelung zu sprechen.« Howie seufzt, als wüsste er nicht, wie er sich ausdrücken soll. »Hör zu, mir ist klar, dass du im Moment bei deiner Familie sein willst, aber wir müssen das irgendwann regeln. Um eine Einigkeit zu erzielen … damit sichergestellt ist … Mir liegt Quentins Wohlergehen am Herzen, und mir ist wichtig, dass er weiß, er kann jederzeit nach Hause kommen.«
Ich bin fassungslos, denn Howies Worte klingen so, als würde ich sein Kind stehlen. Ich bin schockiert, enttäuscht und wütend zugleich. Ich hätte ihm viel zu sagen, aber ich traue meinen Worten nicht und lege lieber sanft den Hörer auf die Gabel, denn ich bin viel zu niedergeschlagen, um gegen die Wand zu treten oder den Hörer aufzuknallen.
Wieder muss ich heftig weinen, ich bekomme zwischen all den Schluchzern kaum Luft. Meine Mutter schleppt sich die Stufen herauf und verflucht bei jedem Schritt ihre schlimme Hüfte. Ich wische mir die Tränen weg, ich ärgere mich über die Einmischung meiner Mutter. Ich möchte alleingelassen werden, in Selbstmitleid baden, und mich schaudert es schon bei der Vorstellung, dass ich mir nun anhören muss, ich solle ihn vergessen, als ginge es um ein desaströses Date und nicht um meine langjährige Ehe.
»Schluss jetzt, Prissy, das reicht«, ruft Mom vom Treppenabsatz her. Weiter kommt sie in ihrer Kurzatmigkeit nicht, und ich habe ein schlechtes Gewissen, weil sie sich meinetwegen so plagt. »Glaub mir, ohne ihn bist du besser dran«, fährt sie fort. »Quentin braucht seine Mutter jetzt, Prissy, also hör auf, kostbare Tränen an diesen nutzlosen Hurensohn zu verschwenden, und komm runter, oder ich komm selbst und hol dich.«
Ich will mich wirklich nicht unten blicken lassen, aber ich habe Angst, dass meine Mutter andernfalls ihre Drohung wahrmacht.
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