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Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Titel: Die Witwen von Paradise Bay - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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kein bisschen.
    »Ich bin hier, um dich zu sehen«, sagt Howie zu Quentin. »Wollen wir zu Lawlor’s fahren? Und etwas essen? Ein Sandwich?« Je unsicherer er wird, desto kürzer werden seine Sätze.
    Dann taucht wie aus dem Nichts meine Mutter auf, um eilends die Lage zu retten. Sie hat die Beerdigungskluft abgelegt und trägt einen rosa Bademantel über ihrem Hauskleid. »Bei Lawlor’s gibt’s Ungeziefer!«, gellt sie. »Da krabbelt’s überall, das sag ich euch. Dauert sicher nicht mehr lange, bis das Gesundheitsamt den Laden dichtmacht.«
    Natürlich hat sie das nur erfunden. Wir haben selbst noch vor drei Tagen bei Lawlor’s gegessen. Aber es ist fast halb fünf, und um diese Zeit herrscht Hochbetrieb. Wahrscheinlich sind viele Besucher unserer Gedenkfeier zum Essen dort, und deshalb können wir Howie und Quentin auf keinen Fall zu Lawlor’s fahren lassen.
    »Also, heut Abend gibt’s Schweinekoteletts, und zwar mehr als reichlich. Niemand braucht aus dem Haus zu gehen, wo wir hier so viel zu essen haben. Howard, zieh den Mantel aus und hol mir ein paar Kartoffeln und Zwiebeln aus dem Keller.« Howie sieht meine Mutter verdutzt an und beißt sich, wie immer, wenn er ratlos ist, auf die Lippen. »Na los«, sagt sie und gibt ihm einen sanften Schubs. »Du kennst dich hier doch aus.«
    Eine Stunde später sitzen wir im Esszimmer, weil die Küche nur vier Stühle hat. Davon abgesehen, dass mich Charlie einmal um den Scheißpfeffer bittet, redet einzig meine Mutter – über den Regionalmarkt und wie er den Tourismus ankurble und wann die beste Zeit zum Blaubeerpflücken sei. Dann quatscht sie endlos über Rezepte für Rote Bete und die neuen Rubbellose des Atlantic Lotto. Wir anderen vier sitzen schweigend da, kauen auf unseren zähen Schweinekoteletts herum und warten darauf, dass der Abend vorübergeht. Doch plötzlich bringt meine Mutter ein etwas kontroverseres Thema zur Sprache.
    »Also«, sagt sie und schiebt die Kartoffeln auf ihrem Teller hin und her. »Ich glaube, Quentin würde sehr gerne den Sommer hier verbringen.«
    Howie schüttelt den Kopf, aber meine Mutter lässt ihn nicht zu Wort kommen.
    »Hör mir einfach zu«, wirft sie ein. »Quentin ist zur Hälfte Neufundländer, und das arme Kind kennt sich in seiner Kultur kaum aus. Niemand hat ihm beigebracht, wie man Kabeljau mit einem Blinker fängt, ein vernünftiges Fangnetz knüpft, einer Elchspur folgt oder die zweite Strophe unserer Lokalhymne ›I’se the B’y‹ singt.«
    »Ich selber kann auch nix von dem Scheiß und lebe schon mein ganzes Leben hier«, schnauft Charlie, woraufhin meine Mutter ihm einen vernichtenden Blick zuwirft.
    »Artie hat immer davon geträumt, seinen einzigen Enkel mit zum Fischen und Campen zu nehmen und ihm seine Heimat nahezubringen, aber er kam ja nicht mehr dazu.« Sie legt sich eine Hand aufs Herz und schaut gen Himmel. »Er hat nur eines im Leben bedauert, nämlich dass er nie wirklich Großvater sein konnte, weil Quentin so weit fort war. Er hat sich so gewünscht, Quentin würde seine Wurzeln kennen. Du weißt, wie sehr Artie dieses Kind geliebt hat.«
    Meine Mutter tut, was sie am besten kann – sie legt den Keim für Schuldgefühle, und offensichtlich wirkt es schon, denn Howie kaut wieder auf seinem Mundwinkel herum.
    »Es wären ja bloß die Sommermonate, Howard«, zieht Mom ihren Köder vorsichtig ein. »Im September geht Quentin wieder in Toronto auf die Schule.«
    Howie wendet sich an Quentin. »Willst du das denn, Kumpel?«
    Quentin zuckt mit den Schultern, was bei einem Vierzehnjährigen wohl so viel wie Ja heißt. Ich würde am liebsten aufspringen, triumphierend in die Hände klatschen und Mom als meine Anwältin anheuern, aber ich hole lieber den Blaubeerkuchen aus der Küche und teile ihn unter uns auf.
    Ich muss daran denken, wie Howie vor sechzehn Jahren eines Abends ebenfalls unangekündigt erschien, wenn auch aus ganz anderen Gründen. Er hatte mich überraschen wollen und einen Tisch in St. John’s reserviert, und auch damals hatte ihn meine Mutter nicht gehen lassen. Er bräuchte heimische Kost, hatte sie insistiert und ihn bezirzt, zu bleiben. Damals hatte sie den kläglichen Versuch unternommen, ihm die komplizierten Regeln ihres geliebten Kartenspiels 120 beizubringen, aber Howie war ein hoffnungsloser Fall. Wir haben furchtbar lachen müssen, weil er so ein schlechter Spieler war und ständig den Wert der Asse vergaß und auch die Regeln des Ansagens nicht verstand. Als Charlie

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