Die Witwen von Paradise Bay - Roman
kleinen Schlucken. Natürlich ist er wegen Quentin hier, aber in mir regt sich trotzdem die leise Hoffnung, dass Howie auch mich sehen will. Als hätte er meine Gedanken gelesen, legt er eine warme Hand auf meine. Ich könnte ewig so sitzen bleiben.
»Mit dir alles in Ordnung?«, fragt er und fährt sanft mit dem Daumen über meine abgekauten Nägel. Er trägt keinen Ehering. Ich ziehe die Hand weg, seine Berührung ist plötzlich unerträglich.
»Ja, mir geht’s super.« Ich versuche nach Kräften, fröhlich zu klingen. »Also, was machst du in Paradise Bay, Howie?«
Er seufzt, reibt sich mit Daumen und Zeigefinger die Stirn, und da weiß ich schon, dass ich die Antwort nicht hören will. »Ich habe gestern mit Quentin telefoniert, und mir scheint hier doch einiges vorzugehen, was ich ausgesprochen beunruhigend finde.«
Mein Herz schlägt schneller, denn ich wusste nicht, dass Quentin mit seinem Vater gesprochen hatte, und ich habe erst recht keine Ahnung, was er ihm erzählt hat. Er hat ihm sicher das mit dem Nachruf verschwiegen, aber mir fällt auch nichts ein, was Howie so beunruhigen könnte, dass er unangekündigt herfliegen würde. »Zum Beispiel?«
»Quentin sagt, du sprichst davon, hierzubleiben, in diesem Haus. Er ist auch mein Sohn, Prissy, und ich lasse dich nicht einfach mit ihm herziehen. Es ging um zwei Wochen.« Er wirkt sehr erregt, und ich schwanke, ob ich ihn beruhigen und den Waffenstillstand halten oder ihn verhöhnen und noch mehr aufstacheln soll.
»Ich schwöre, ich hab keine Ahnung, wovon du sprichst«, erwidere ich. »Quentin ist vierzehn und missversteht vieles. Das solltest du ja wohl wissen. Mom hat nur gesagt, dass ich nach ihrem Tod das Haus bekommen soll, mehr nicht. Du kennst sie doch. Jedes halbe Jahr plant sie ihren Tod. Ich ziehe mit Quentin nirgendwohin.« Howie sieht schlagartig erleichtert aus, darum setze ich gleich hinterher: »Fürs Erste jedenfalls.« In seinen Augen steht die blanke Angst, und ich genieße meine Macht. Am liebsten würde ich ihm deutlich ins Gesicht sagen, dass Quentin sowieso nicht bei ihm in Toronto leben, sondern hier, bei mir sein will, aber ich schäme mich, dass ich überhaupt mit so einem Gedanken spiele. »Irgendwo muss ich ja hin«, sage ich ziemlich verdrießlich.
»Du kannst das verdammte Haus haben«, sagt Howie. »Ich hab dir hundert Mal gesagt, ich werd schon für dich sorgen.«
»Das ist wirklich ausgesprochen nobel«, speie ich ihm entgegen, »aber ich kann sehr gut für mich selber sorgen.« Ich hatte erwartet, dass er mir widersprechen, mich sogar auslachen würde, aber er tut etwas noch viel Schlimmeres: Er grinst mich auf unerträglich überhebliche Weise an und nickt dazu so gönnerhaft, als wäre ich ein Kind und hätte behauptet, später werde ich Superheld.
»Fick dich!«, schreie ich, und es ist mir egal, ob mich meine Mutter in dem Zimmer, in das sie sich geflüchtet hat, hören kann. »Ich brauch weder dein Geld noch deine Hilfe noch sonst was, um für mich und meinen Sohn zu sorgen.«
An Howies Hals schwillt eine Ader an und zeichnet sich violett unter der Haut ab. Er sagt kein Wort, aber sein blasierter Gesichtsausdruck macht mich wütender als alles, was er sagen könnte. Ich habe ein solches Verlangen, dieses Grinsen aus seinem Gesicht zu tilgen, dass ich erst weiß, was ich tue, als meine Hand auf seiner Wange liegt. Meine Finger prickeln, meine Handfläche schmerzt, und wir sind beide plötzlich so still, dass man das Summen des Kühlschranks hören kann. Auf Howies Gesicht ist der Abdruck meiner Hand zu sehen, und ich will mich gerade entschuldigen, da kommen Charlie und Quentin durch die Hintertür.
»Alles okay, Prissy?«, fragt Charlie, und ich liebe meinen Bruder in diesem Moment mehr als jemals zuvor. Er legt Quentin schützend eine Hand auf die Schulter, und wenn ich Charlie jetzt bitten würde, mit Howie nach draußen zu gehen und ihm eine ordentliche Abreibung zu verpassen, würde er das sicher gerne tun.
»Alles bestens«, sage ich.
»Hey, Dad«, sagt Quentin zögernd.
»Hey, Kumpel«, antwortet Howie, als würde er mit einem jüngeren Quentin sprechen. Sein Tonfall ist gezwungen. Seine Augen wirken dunkler, aber vielleicht ist er auch nur bleicher. In der Küche meiner Mutter wirkt er unsicher und angreifbar, er weiß nicht einmal, wie er mit seinem eigenen Kind sprechen soll. Trotzdem empfinde ich keinerlei Mitgefühl, allenfalls eine perverse Befriedigung angesichts seiner Lage. Ich schäme mich
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