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Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Titel: Die Witwen von Paradise Bay - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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erschien und wir Howie daraufhin erklärt haben, wie man paarweise spielt, hat der arme Kerl vor Verzweiflung die Hände in die Luft geworfen und konnte über sich selbst am meisten lachen.
    Doch als ich nun beobachte, wie er sich einen violetten Fleck aus dem Mundwinkel wischt, ist das Gefühl des Triumphs dahin.

Kapitel 12
    Lottie
    »Willst du denn nicht reinschauen?«
    Marianne meint die große braune Papiertüte vor mir auf dem Küchentisch. Darin sind alle Dinge, die in Ches’ Wagen gefunden wurden, mit Ausnahme von Ches selbst. Laut Polizei gehört die Tüte mir, aber bevor sie mir übergeben wurde, musste ich erst noch unterschreiben. Als ob irgendjemand darauf Anspruch erheben würde! Eine Papiertüte also enthält mein gesamtes Erbe. Sie erinnert mich an die Wundertüten, die mir meine Eltern früher bei Hayward’s kauften. Ich habe keine Ahnung, was ich finden werde, aber sehr wahrscheinlich werde ich genauso enttäuscht wie damals, als in meiner Tüte eine kaputte Plastiktrillerpfeife und billiger Krimskrams lagen, den Mr. Hayward auf normalem Wege nicht verkaufen konnte. Trotzdem schaue ich die Tüte erwartungsvoll an, wie ein Kind, das ein Weihnachtsgeschenk auspacken will. Marianne hofft sicher auch, etwas Bedeutsames zu finden.
    »Nachher«, sage ich. Marianne sieht geknickt aus.
    »Bist du denn nicht neugierig? Das ist doch alles, was von ihm übrig ist.«
    Ich weiß zwar, dass die Tüte keinen Abschiedsbrief enthält, trotzdem bin ich leicht nervös, weil ja vielleicht doch etwas Geheimnisvolles darin liegt, etwas, das ich mir nicht erklären kann, eine fremde Telefonnummer oder eine unbekannte Adresse. Das ist nahezu unmöglich, denn sonst hätte mich die Polizei dazu befragt. Dennoch zögere ich, die Tüte vor den Augen meiner Tochter zu öffnen, falls dort eine Enthüllung wartet, auf die sie nicht vorbereitet ist. Was, wenn Ches in illegale oder unmoralische Machenschaften verstrickt war?
    »Ich glaube, ich weiß, warum Daddy es auf diese Weise getan hat«, sagt Marianne.
    Mir ist nicht klar, ob sie die Art seines Selbstmords oder überhaupt den Grund dafür meint, daher frage ich bloß: »Warum?«
    »Weil er nicht wollte, dass wir ihn finden«, sagt Marianne. »Er wusste, dass wir ihn nicht bei der Eisbahn suchen würden, aber wenn er es zu Hause getan hätte, wäre eine von uns beiden früher oder später über seine Leiche gestolpert. Ich glaube, er wollte Rücksicht auf uns nehmen.«
    Ich kann nicht fassen, dass Marianne die selbstsüchtige Handlungsweise ihres Vaters zu einem heroischen Akt verklärt. »Ja, nun, das war wirklich sehr rücksichtsvoll von deinem Vater, sich an der Eisbahn und nicht im Badezimmer oder Schlafzimmer umzubringen.« Ich erlaube mir den sarkastischen Tonfall. »Hat er auch Rücksicht auf dich genommen, als er dich zur Halbwaise gemacht hat? Nimmt er Rücksicht, indem er uns Berge von Rechnungen hinterlässt, die wir nicht bezahlen können?« Ich bin wütend auf Ches, und es ist entsetzlich, dass ich das an Marianne auslasse, aber ich bin es so leid, dass sie ihn bei jeder Gelegenheit verteidigt. »Willst du wirklich sehen, was er uns hinterlassen hat?« Ich greife mir die Tüte und kippe ihren Inhalt auf den Küchentisch.
    Vor uns liegen eine Tüte Pfefferminzbonbons, in der drei Stück fehlen, eine leere Packung Zigaretten, eine Straßenkarte von Neufundland und Labrador, die niemals auseinandergefaltet wurde, die Quittung für eine Flasche Ginger Ale und einen Beutel Doritos, ein paar Münzen, eine Zeitung, einige Servietten mit dem Logo von McDonald’s, eine Eagles Greatest Hits - CD , sein Portemonnaie, eine halb benutzte Rolle Klebeband sowie ein Gummischlauch.
    Letzteres zieht unser Interesse auf sich. Mein Herz schlägt langsamer, als würde ich das gleiche Gas einatmen, das Ches getötet hat. Das muss der Schlauch sein, mit dem Ches voriges Jahr die Waschmaschine repariert hat, doch der Anblick ist so verstörend wie der eines blutverschmierten Messers oder einer schmauchenden Waffe. Ich verstehe nicht, warum die Polizei mir das gegeben hat, denn so etwas müsste als Beweismittel gelten und in irgendeinem Labor aufbewahrt werden. Die Familie des Verstorbenen möchte dieses Ding sicher nicht im Haus haben, aber ich bringe es auch nicht fertig, es anzufassen und wegzuwerfen. Marianne sieht mich mit einer Mischung aus Enttäuschung und Entsetzen an. Natürlich hatte sie auf etwas anderes gehofft – wie ich auch. Wir wollen begreifen, warum sich Ches

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