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Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Die Witwen von Paradise Bay - Roman

Titel: Die Witwen von Paradise Bay - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Random House
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nicht mit dir streiten. Ich sag dir nur, wie es ist.« Fred holt ein liniertes Blatt Papier aus seiner Tasche. Er hat sich während der Telefonate mit seinen Freunden bei der Regierung Notizen gemacht. Seine Handschrift ist erstaunlich sauber. Ich kenne keinen Mann, der leserlich schreibt. Ausgerechnet der ungeschlachte Fred mit seinen dreckigen Fingernägeln hat eine schöne Schrift mit so perfekten Schnörkeln und Rundungen, als würde er regelmäßig Tagebuch schreiben und nicht Möhren aus dem Ackerboden ziehen.
    »Du musst einige dieser Punkte hier erwähnen.« Er liest langsam und ohne jede Gefühlsregung von seinem Zettel vor. »Also … Aufbau einer notwendigen Hilfsstruktur in ländlichen Regionen, Förderung von geistiger Gesundheit und Wohlergehen, Stärkung der Unabhängigkeit von Frauen … all so ein Blödsinn.« Er wirft mir den Zettel hin, als ob ihn seine Worte angewidert hätten. Dann reicht er mir einen weiteren Zettel mit einem Namen und einer Telefonnummer: Dr. Dorothy Dunn aus St. John’s. Ich habe keine Ahnung, wer diese Person ist, und beiße mir verwirrt auf die Lippen. Wieso gibt mir Fred die Nummer einer Ärztin? Ich bin doch nicht krank.
    »Wer ist Dr. Dunn?«
    »Eine Professorin von der Uni. Frauenforschung oder Soziologie, vielleicht auch beides. Sie will dir bei der Antragstellung und den Formulierungen helfen, wenn sie dafür nächstes Jahr in irgendeiner wissenschaftlichen Zeitung, in der sie unbedingt veröffentlichen will, einen Aufsatz über euch schreiben darf.«
    Ich öffne den Mund, um ihm zu danken, aber er ist schon aufgesprungen und eilt zur Tür.

Kapitel 28
    Prissy
    Nach unserer Rückkehr, in der ersten Nacht alleine mit meiner Mutter, bin ich so nervös wie an dem Tag, als ich mit Quentin aus dem Krankenhaus kam. Ohne die kompetenten Krankenschwestern, die auf den Korridoren der Reha-Station patrouillieren, habe ich Angst. Wenn etwas passieren sollte, kann ich niemanden rufen, der weiß, was zu tun ist.
    Das Reha-Programm meiner Mutter gilt als abgeschlossen, allerdings erscheint mir dieses Urteil der Ärzte unbegreiflich, denn meine Mutter kann noch immer nicht gehen, nicht einmal mit einer Gehhilfe, und obwohl sie mittlerweile recht deutlich spricht, verstehe ich sie trotzdem oft genug nicht, oder sie redet sinnloses Zeug. Sie hat eine gewisse Kontrolle über ihre Körperfunktionen, aber es passieren so viele Malheurs, dass sie meist eine Erwachsenenwindel benötigt. Es fällt mir schwer zu akzeptieren, dass meine Mutter entlassen wurde, obwohl sie noch keine Ähnlichkeit mit der Person hat, die vor gut zwei Monaten ins Krankenhaus eingeliefert wurde.
    Wenigstens hat Charlie die Rampe zur Hintertür gebaut. Ich betrete sie und prüfe ihre Stabilität, dann erst schiebe ich meine Mutter dort hinauf. Das Haus ist kühl, es hat die ganze Zeit leer gestanden. Ich gehe langsam durch alle Räume und kontrolliere, ob Charlie Moms Sachen in das hintere Schlafzimmer gebracht und die entsprechenden Vorrichtungen im Badezimmer montiert hat. Der Arzneischrank ist mit allem gefüllt, worum ich gebeten habe, und im Kühlschrank und in den Vorratsschränken liegen lauter gesunde Sachen, Obst, Gemüse und Vollkornprodukte.
    Ich sollte dem Herrgott für Charlie danken, denn ich wüsste nicht, wie man eine Rampe baut oder in eine Badezimmerkachel bohrt, und ich hätte erst recht nicht die Kommode die Treppe hinunterwuchten können. Trotzdem würde ich Charlie gerne zur Rede stellen, weil er die Krankheit ganz mir überlassen hat. Ich kann seine Besuche im Krankenhaus und in der Reha-Klinik an einer Hand abzählen. Und wenn er sich zu einem Besuch durchgerungen hatte, war er völlig verkrampft und nach einer Viertelstunde wieder fort. Charlie hat nie nach ihren Fortschritten, ihrer Behandlung oder nach Möglichkeiten, ihr die Umstellung zu erleichtern, gefragt.
    Ich habe seit Wochen nicht mehr in einem richtigen Bett gelegen, sondern auf den beiden Stühlen im Krankenzimmer meiner Mutter geschlafen. An mir war es hängengeblieben, mir von Ärzten und Krankenschwestern Moms Zustand und die Art der Nachsorge beschreiben zu lassen. Ich war diejenige, die all die Broschüren über Schlaganfall, Inkontinenz, Füttern und Ernährung, Medikation und Depressionen lesen musste.
    Es ist seltsam, meine Mutter in ihrem jetzigen Zustand in ihrer Küche zu sehen. Ich hatte zwei Monate lang Zeit, mich an den Gedanken zu gewöhnen, aber es trifft mich unerwartet schwer. Ich konnte den Anblick meiner

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