Die Witwen von Paradise Bay - Roman
Schlaganfall nichts wissen konnte. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich versucht, es ihm zu erzählen, ließ es jedoch. Ich bestätigte ihm den Empfang des Päckchens und legte auf. Die Verkäuferin aus dem Sanitätshaus sah mich eine Träne fortwischen, mit zwei Toilettensitzen und einem Handy jonglierend, und schenkte mir ein warmes Lächeln, als ob so etwas ihr täglicher Anblick wäre. Das Traurige ist, wahrscheinlich stimmt das sogar.
Da ich Howie nicht zurückrufen will, rufe ich Quentin an, um zu hören, ob alles in Ordnung ist. Ich war noch nie länger als zwei Tage von ihm getrennt. Ich vermisse ihn so sehr, dass ich einen ständigen Schmerz in meiner Brust spüre. Dauernd ertappe ich mich dabei, wie ich auf die Uhr schaue und überlege, wo Quentin um diese Zeit wohl ist und was er macht. Mich beschäftigt, ob er wütend ist, weil ich nicht wie angekündigt nach Toronto zurückgekommen bin, aber bei meinen täglichen Anrufen nach der Schule zeigt er niemals feindselige Gefühle.
»Hey, Mom«, sagt er nun, unverdrossen. »Wie geht’s?«
»Alles okay?«
»Jo.«
»Wie läuft’s in der Schule?«
»Nervt.«
Ich lächle über seine Antwort. »Du fehlst mir«, sage ich.
»Ja, egal. Wie geht’s Onkel Charlie und Oma?«
»Gut«, sage ich. Ich habe ihm noch immer nichts von dem Schlaganfall erzählt. »Wie läuft’s mit deinem Vater?« Vielleicht kann mich Quentin ja vorwarnen, weshalb mich Howie sprechen will.
»Nervt.«
Die Bemerkung freut mich, obwohl Quentin von mir sicher keine bessere Meinung hat. »Na, ich wollte bloß hören, ob bei dir alles in Ordnung ist.«
»Alles bestens«, seufzt er. »Wir seh’n uns«, sagt er, und in dem Moment denke ich mir nichts dabei.
Kapitel 29
Georgia
Ich achte aus verschiedenen Gründen sehr darauf, meine Schwangerschaft geheimzuhalten. Zunächst hat mein Zustand etwas Beschämendes – obwohl ich mir das vielleicht bloß einbilde und obwohl ich eine erwachsene Frau bin. Ich habe keinen Ehemann, nicht einmal einen Freund, und wenn bekannt wird, dass ich Freds Kind erwarte, werde ich mit Sicherheit zum Tagesgespräch. Eine größere Rolle aber spielt etwas anderes. Ich habe noch immer nicht in vollem Umfang erfasst, was mein Zustand wirklich bedeutet. Ich wollte es Lottie und Prissy erzählen, nur bringe ich nicht den Mut auf, dabei wissen sie von meiner Begegnung mit Fred und würden sicher nicht über mich urteilen. Ich habe auch daran gedacht, es Fred zu sagen. Natürlich hat er ein Recht, es zu wissen, doch die Sache zwischen uns ist so komisch ausgegangen, dass ich nicht wüsste, wie ich es ansprechen sollte.
Als mich Lottie zum Frühstück bei Lawlor’s einlädt, nehme ich mir vor, ihr alles zu erzählen. Aber bei meinem Eintreffen sitzt sie schon in einer der hinteren Nischen einer Frau mit kurzem, grau meliertem Haar und vollen Lippen gegenüber. Sie wird mir als Dr. Dunn vorgestellt. Also weiß Lottie Bescheid. Warum sollte sie sonst eine Ärztin zu unserem Treffen bitten?
»Dr. Dunn ist Professorin für Soziologie und Frauenforschung an der Universität und will uns dabei helfen, öffentliche Mittel für unsere Selbsthilfegruppe zu bekommen«, erklärt Lottie.
Ich gebe vor Erleichterung einen Stoßseufzer von mir, weil Dr. Dunn Professorin für Frauen und keine Frauenärztin ist. Joseph würde sie vermutlich scherzhaft als Männerhasserin bezeichnen, weil sie Frauenstudien lehrt und kurzes Haar hat, obwohl sie dunkelroten Lippenstift und braunen Eyeliner trägt. »Schön, Sie kennenzulernen«, sage ich ruhig und frage mich, wie Lottie von jemandem wie Dr. Dunn überhaupt erfahren konnte.
»Ich glaube«, sagt Dr. Dunn, »dass Ihre Organisation zu einer aufschlussreichen Studie über die sozioökonomischen Auswirkungen führen wird, denen Frauen unter vierzig in ländlichen Kommunen durch den Tod des Ehemannes unterworfen sind.« Dr. Dunn trinkt Kaffee statt Tee und hat sich einen Teller mit frischem Obst und Hüttenkäse bestellt. Die körnige weiße Masse schillert und wabbelt in ihrer Schüssel, als hätte sie ein Eigenleben. Bei dem Anblick, in Kombination mit dem Geruch nach Eiern und gebratenem Fleisch, wird mir übel, und ich muss mich zusammenreißen, mich nicht zu übergeben.
Dr. Dunn zieht einen Stapel Papiere hervor. »Traditionell«, sagt sie mit Autorität, »gehen die Neufundländer Berufen auf sehr gefährlichen Arbeitsfeldern nach, allen voran im Sektor Fischfang, Bergbau und in jüngster Zeit Erdöl- und Gasförderung. Dies
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