Die Wölfe vom Rock Creek - Alaska Wilderness ; 2
der Anoraktasche. »Geh in Deckung!«, rief sie Julie zu.
Julie zog sich in den Schatten der Bäume zurück und duckte sich. Aus zusammengekniffenen Augen blickte sie in das trübe Tageslicht, das inzwischen über den Bergen heraufgezogen war, und sah den Scheinwerfer eines Snowmobils näher kommen. Der Mann im Sattel war nur als dunkler Schatten zu erkennen. Er steuerte die Maschine über die Hügel außerhalb des Waldes und bemerkte die beiden Hundeschlitten am Waldrand anscheinend gar nicht.
Erst als er bis auf ungefähr fünfzig Schritte heran war, entdeckte er sie und bremste erschrocken, als er Carol mit gezogenem Revolver aus der Dunkelheit treten sah. »Nicht schießen! Nicht schießen!«, rief er in panischer Angst. »Ich hab nichts getan! Bitte nicht schießen!« Er weinte beinahe.
Carol sah, dass es sich um einen ungefähr siebzehnjährigen Jungen handelte, und steckte den Revolver weg. Julie erkannte ebenfalls, dass keine Gefahr bestand, und verließ ihre Deckung. »Wer bist du? Was tust du hier?«, fragte Carol. »Du weißt doch, dass Snowmobile im Nationalpark verboten sind.«
»Im Nationalpark? Ich bin im Nationalpark?«
»Wusstest du das nicht?«
Der Junge machte sich beinahe in die Hosen vor Angst. »Nein … ich hatte keine Ahnung! Ich bin bei meinem Onkel in Healy zu Besuch und dachte mir, ich fahre ein bisschen mit dem Snowmobil durch die Gegend. Ich bin Roy Murray aus Anchorage. Lassen Sie mich laufen, Ranger! Ich habe nichts getan!«
Carol spürte, dass der Junge die Wahrheit sagte. »Okay, wir belassen es diesmal bei einer Verwarnung. Aber an deiner Stelle würde ich so schnell wie möglich umdrehen und den eigenen Spuren aus dem Park folgen. Ein paar Meilen nördlich von hier ist nämlich gerade ein Wolfsrudel beim Fressen.«
»Ein Wolfsrudel? Oh, Scheiße!«
Der junge Mann drehte ohne ein weiteres Wort um und raste der Parkgrenze entgegen. Unter dem Laufband seines Snowmobils stob der Schnee auf.
Carol grinste. »Der kommt so schnell nicht wieder.«
16
Am nächsten Morgen waren Julie und Carol gerade dabei, ihre Huskys zu füttern, als sie das Rattern eines Hubschraubers hörten. Er landete in Sichtweite auf dem freien Platz vor dem Verwaltungsgebäude und machte die Hunde so nervös, dass sie laut zu bellen begannen und unruhig an ihren Ketten zogen.
»Easy, Chuck!«, beruhigte Julie ihren Leithund.
Im Scheinwerferlicht duckte sich ein Mann unter den Rotoren hinweg, verschwand im Verwaltungsgebäude und kam wenige Minuten später mit Superintendent Green zu den Hundezwingern hinunter. Die Huskys empfingen sie mit lautem Gebell. Sie wurden nur ungern beim Fressen gestört.
Der Mann aus dem Hubschrauber, den Julie bisher nur schemenhaft erkannt hatte, war Dr.John Blake. Er wirkte äußerst nervös. »Wir glauben, dass Banu tot ist«, sagte er. »Er hat seinen Standort seit über sechs Stunden nicht mehr verändert, und das kann nur heißen … es sieht sehr schlecht um ihn aus.«
»Ich möchte, dass Sie beide mitfliegen«, sagte der Superintendent. Auch er schützte sich mit seinem Anorak, einer Wollmütze und Handschuhen gegen die unerbittliche Kälte. »Sie haben das Rudel mehrfach beobachtet und waren in der Nähe, als der Alphawolf angeschossen wurde. Ranger Erhart und einer seiner Ranger sind bereits mit einem anderen Hubschrauber unterwegs.«
»Banu … ist tot?«, wiederholte Julie entsetzt.
»Es sieht zumindest so aus«, sagte John. »Tut mir leid, Julie.«
Julie und Carol warteten, bis die Hunde fertig gefressen hatten, und stiegen in den Hubschrauber. Kenny Longmire, der wieder am Steuerknüppel saß, begrüßte sie mit einer Handbewegung. Sie erlebten mit gemischten Gefühlen, wie sich die Maschine in die Luft erhob und nach Nordwesten abdrehte. Am Himmel zeigten sich kaum Wolken, blasses Mondlicht fiel zu den Fenstern herein und schuf eine unheimliche Atmosphäre. Sie passte zu den trüben Gedanken, die Julie durch den Kopf gingen, als sie über die Wälder flogen.
Vor ein paar Wochen hätte sie vielleicht noch gelacht, wenn ihr jemand vorausgesagt hätte, dass sie einmal um einen Wolf weinen würde. Doch jetzt waren tatsächlich Tränen in ihren Augen und es fiel ihr schwer, gegen ihre Gefühle anzukämpfen. Zu tragisch war die Geschichte des ehemals stattlichen Anführers, den ein einziger Schuss, der ihn nicht einmal voll getroffen hatte, aus der Bahn geworfen und ihn seiner Vormachtstellung im Rudel beraubt hatte. Kaum noch fähig, bei der Jagd auf eine
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