Die Wölfe von Yellowstone. Die ersten zehn Jahre (German Edition)
dafür aber mehr Nutztiere gab und wo die Menschen, die sie als ungefährlich erachteten, auf sie schossen und sie töteten.
Wenn in den Staaten Montana, Wyoming und Idaho weiterhin so viele Wölfe gejagt werden, wie seit der Streichung von der Artenschutzliste, wird es nicht mehr lange dauern und es wird (wieder einmal) keine Wölfe mehr außerhalb von Yellowstone geben. Dann beginnt erneut der mühsame Prozess, vorangegangene Fehler wieder gutzumachen und die Wölfe auf die Artenschutzliste zu setzen.
Die Geschichte wird sich wiederholen – bis wir lernen, die Tiere anders zu behandeln.
Die Wiederansiedlung der Wölfe in Yellowstone war ein einmaliges Experiment. Dass es so erfolgreich war, verdanken wir vielen sehr fähigen, fürsorglichen und weitblickenden Fachleuten. Dennoch besteht bei aller Begeisterung die Gefahr, dass wir auch die Wölfe selbst als »Experiment«, als »Forschungsobjekt« betrachten. Schon jetzt tragen die meisten Beutegreifer ein Radiohalsband. Ursprünglich sollten die Tiere nur in den Anfangsjahren ein Halsband erhalten. Auch heute noch wird jedes Tier, das besendert wird, wissenschaftlich »bearbeitet«, das heißt vermessen, gewogen, bekommt Blut abgenommen und so weiter und so weiter.
Seit sie ihren Fuß in den Park gesetzt haben, wurden die Wölfe von Menschen manipuliert. Sie bekamen Radiohalsbänder, ihre Welpen, die durch die Lage ihrer Höhle in Gefahr waren, wurden verlegt und Wölfe, die eine Gefahr für Nutztiere waren, ausgeflogen oder getötet. In jedem einzelnen, individuellen Fall mögen diese Maßnahmen wissenschaftlich gerechtfertigt gewesen sein. Im Laufe der Zeit jedoch scheint sich ein Denken eingeschlichen zu haben, nach dem es selbstverständlich ist, die Wölfe auf jede Art und Weise zu kontrollieren.
Je größer die Wolfspopulation in Yellowstone wird, um so mehr stellt sich die Frage nach der Ethik dieses Handelns. Brauchen wir noch mehr Wölfe mit Radiohalsbändern? Einige Wölfe wehren sich. Bei zumindest drei Wolfsrudeln weiß man, dass sie sich gegenseitig die Halsbänder abgekaut haben. Als Reaktion auf diese freie Willenserklärung haben die Wissenschaftler diesen »notorischen Störenfrieden« jetzt Halsbänder mit Stahleinlagen angelegt.
Wie weit wollen wir noch gehen? Wie viel Achtung und Würde wollen wir den Wölfen (und allen anderen Tieren, die wissenschaftlich erforscht werden) zugestehen? Ist die Information, die wir erhalten, die Beeinträchtigung des Lebens eines wilden Tieres wert? Und wenn ja, müssen wir uns weiter fragen, wie viele Tiere und welche Informationen wir brauchen und ob sie am Ende den Tieren auch nutzen?
Ohne Zweifel haben wir durch die Radiohalsbänder viele wichtige Informationen erhalten. Wir haben gelernt, wie wilde Wölfe in einem Ökosystem funktionieren. Ohne sie könnten wir Wolfsbeobachter nicht die Wölfe finden und sie bequem von der Straße aus beobachten. Gleichzeitig aber machen es die Radiohalsbänder auch leichter, Wölfe zu töten.
Und so kann man sich am Ende bei aller Technik manchmal nicht des Gefühls erwehren, sich in einem riesigen Safaripark oder Zoo zu befinden.
Das Wiederansiedlungsprogramm ist erfolgreich abgeschlossen. Dank menschlicher Hilfe und Manipulation sind die Wölfe nach Yellowstone zurückgekehrt. Aber um zu entscheiden, ob ihre Rückkehr wirklich ein Erfolg ist, müssen wir uns fragen, welche Kriterien wir dem Wort »Erfolg« beimessen, und welchen Preis die Wölfe dafür zahlen.
Als ich 1990 den ersten Wolf in Yellowstone sah, hatte ich eine Vision: Ich sah, wie die Wölfe langsam aber sicher von Norden nach Süden ziehen. Immer wieder würden es einzelne Wölfe schaffen. Ein Wolf würde nach Yellowstone kommen und auf eine andere einsame Wölfin treffen. Sie würden Nachkommen zeugen, und der gesamte Prozess, der bei der Wiederansiedlung in wenigen Jahren geschah, würde ebenso vor sich gehen, nur sehr viel langsamer. Das Ganze wäre nicht in zehn Jahren beendet, sondern vielleicht erst in zwanzig, fünfzig oder hundert Jahren. Was soll's? Die Zeitrechnung der Natur ist langsamer als die unsere. In dieser Zeit und unter vollem gesetzlichem Schutz der Wölfe hätten sogar die Rancher und Skeptiker die Möglichkeit gefunden, sich an die Anwesenheit der Beutegreifer zu gewöhnen – auch ohne dass man sie ihnen direkt vor die Nase gesetzt hätte. Vermutlich hätte es auch weniger Probleme mit Nutztier-Angriffen gegeben, und weniger Wölfe als bisher hätten ihr Leben lassen
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