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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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aber zu vielen Tausend anderen in Beziehung gesetzt, durchaus einen Sinn ergeben. Die Bolschewiken gehen nicht anders vor.« Meine Ausführungen schienen meinen Kameraden unbehaglich zu sein. Ich fuhr fort: »In Charkow und Kiew haben wir in zahlreichen Fällen erlebt, dass Mannschaften und Offiziere bei solchen Liebesabenteuern verschwanden; später hat man sie dann entsetzlich verstümmelt aufgefunden. Und dann gibt es natürlich noch die Krankheiten. Anhand sowjetischer Statistiken schätzt unser Sanitätswesen, dass 90 Prozent der russischenFrauen an Gonorrhö und 50 Prozent an Syphilis leiden. Viele unserer Soldaten haben sich bereits infiziert; wenn diese Männer Heimaturlaub haben, stecken sie ihre Frauen oder Freundinnen an; die Gesundheitsämter im Reich sind alarmiert und sprechen von einer Epidemie. Eine solche Rassenschande muss, wenn sie nicht entschieden bekämpft wird, auf lange Sicht zu einer Entdeutschung unserer Rasse und unseres Blutes führen.«
    Mein Vortrag hatte Partenau sichtlich beeindruckt. Ich ließ es damit gut sein, das reichte, um ihm ein bisschen zuzusetzen. Am nächsten Tag, ich saß lesend in dem schönen Park mit Zypressen und Obstbäumen, suchte er mich auf: »Sagen Sie, sind Sie wirklich überzeugt von dem, was Sie gestern gesagt haben?« – »Natürlich! Das ist die reine Wahrheit.« – »Aber was meinen Sie, wie soll man es denn machen? Sie verstehen …« Er wurde rot, er war verlegen, aber er wollte reden. »Wissen Sie«, fing er wieder an, »wir sind bald ein Jahr hier, ohne einmal in die Heimat zurückgekehrt zu sein, das ist hart. Ein Mann hat seine Bedürfnisse.« – »Dafür habe ich durchaus Verständnis«, erwiderte ich in belehrendem Ton, »zumal auch die Masturbation nach fachärztlicher Meinung große Risiken birgt. Gewiss, einige Wissenschaftler versichern, sie sei nur das Symptom einer Geisteskrankheit, niemals deren Ursache, andere dagegen, so der große Sachs, sind davon überzeugt, dass es sich um eine schädliche Angewohnheit handle, die zur Degeneration führe.« – »Donnerwetter, Sie kennen sich aber in der Medizin gut aus!«, stellte Partenau beeindruckt fest. »Ich bin natürlich kein Arzt, aber ein interessierter Laie, ich habe Bücher darüber gelesen.« – »Und was lesen Sie im Augenblick?« Ich zeigte ihm den Umschlag: » Das Gastmahl. Haben Sie es gelesen?« – »Leider nicht.« Ich klappte das Buch zu und reichte es ihm: »Nehmen Sie. Ich kenne es auswendig.«

 
    Das Wetter wurde milder; bald würde man baden können, aber das Wasser war noch kalt. Man ahnte den Frühling in der Luft, alle erwarteten ihn ungeduldig. In Liwadija besichtigte ich mit Partenau den Sommerpalast Nikolaus’ II.; das Gebäude war während der Kämpfe abgebrannt, aber mit seinen regelmäßigen und asymmetrischen Fassaden und seinen schönen Höfen in florentinischem und arabischem Stil immer noch eindrucksvoll anzusehen. Von dort aus erklommen wir den sonnenbeschienenen Weg, der inmitten von Bäumen auf das Oreanda überragende Vorgebirge führt; von dort aus hat man einen herrlichen Blick auf die Küste, die hohen, noch schneebedeckten Berge, die die Straße nach Sewastopol beherrschen, und dahinter, ganz unten, das elegante Bauwerk aus dem weißen Granit der Krim, von dem wir aufgebrochen waren, noch rauchgeschwärzt, aber in der Sonne erstrahlend. Der Tag kündigte sich prachtvoll an, nach dem Aufstieg zur Klippe waren wir schweißgebadet, und ich zog meine Jacke aus. Etwas weiter im Westen sah man ein Bauwerk, das hoch oben auf den Klippen eines Kaps thronte, das Schwalbennest, eine mittelalterliche Fantasie, die dort ein deutscher Baron, ein Ölmagnat, kurz vor der Revolution errichtet hatte. Ich schlug Partenau vor, bis zu diesem Turm zu gehen; er war einverstanden. Ich schlug einen Weg ein, der an den Klippen entlangführte. Unten schlug das Meer geräuschlos gegen die Felsen; über unseren Köpfen glänzte die Sonne auf den Schneekuppen der schroffen Gipfel. Der aromatische Duft von Pinien und Heidekraut erfüllte die Luft. »Weißt du«, sagte er plötzlich, »ich habe das Buch durch, das du mir geliehen hast.« Wir duzten uns seit einigen Tagen. »Es war sehr interessant. Natürlich wusste ich, dass die Griechen andersrum waren, aber ich hatte keine Ahnung, dass sie eine solche Ideologie daraus gemacht haben.« – »Darüber haben sie im Laufe der Jahrhunderte intensiv nachgedacht. Das geht weit über die einfache sexuelle Aktivität hinaus. Für siewar es

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