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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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eine Lebens- und Organisationsform, die alles betraf: Freundschaft, Erziehung, Philosophie, Politik, sogar das Kriegshandwerk.« Ich hielt inne; schweigend setzten wir unseren Weg fort, die Jacken hatten wir uns über die Schulter geworfen. Dann fing Partenau wieder an: »Als ich klein war, habe ich im Religionsunterricht gelernt, dass es etwas ganz Abscheuliches, Verwerfliches ist. Auch mein Vater hat mit mir darüber geredet, er sagte, die Homosexuellen kämen in die Hölle. Ich erinnere mich noch an eine Stelle bei Paulus, die er zitierte: Desgleichen haben auch die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen und sind in Begierde zueinander entbrannt und haben Mann mit Mann Schande getrieben … Deswegen hat Gott sie dahingegeben … Ich habe es neulich Abend in der Bibel nachgelesen.« – »Ja, aber erinnere dich, dass nach Platon in dieser Hinsicht nichts absolut ist: Keine Handlung ist an sich selbst schön oder verwerflich . Ich will dir sagen, was ich denke: Das christliche Vorurteil, das christliche Verbot ist ein jüdischer Aberglaube. Paulus, der eigentlich Saulus hieß, war ein jüdischer Rabbiner, der dieses Verbot nicht übertreten konnte, wie so viele andere nicht. Es hat einen konkreten Ursprung: Die Juden lebten umgeben von heidnischen Stämmen, darunter auch viele, deren Priester bei bestimmten religiösen Zeremonien eine rituelle Homosexualität praktizierten. Das kam sehr häufig vor. Herodot berichtet dergleichen von den Skythen, die erst diese Region und dann die ganze ukrainische Steppe besiedelten. Die Enareer, Nachkommen der Skythen, hätten den Tempel von Askalon geplündert, woraufhin die Göttin sie mit einem Frauenleiden geschlagen habe. Laut Herodot waren das Seher, die sich wie Frauen betrugen; er nennt sie auch die Androgynoi , die Mannfrauen, die jeden Monat ihre Regel bekamen. Offenbar handelt es sich um schamanische Praktiken, die Herodot nicht ganz verstanden hatte. Ich habe gehört, Ähnliches könne man noch in Neapel sehen, wo manbei heidnischen Zeremonien einen jungen Mann von einer Puppe entbindet. Bedenke auch, dass die Skythen die Vorfahren der Goten waren, die hier auf der Krim lebten, bevor sie nach Westen wanderten. Ob es dem Reichsführer nun gefällt oder nicht, es gibt gute Gründe für die Annahme, dass auch die Goten homosexuelle Praktiken kannten, bevor sie von den judaisierten Pfaffen verdorben wurden.« – »Das wusste ich nicht. Trotzdem, unsere Weltanschauung verurteilt die Homosexualität. Bei der Hitlerjugend wurden uns Vorträge darüber gehalten, und in der SS lehrt man uns, dass es ein Verbrechen gegen die Volksgemeinschaft ist.« – »Ich glaube, was du da beschreibst, ist ein Beispiel für einen halb verstandenen Nationalsozialismus oder einen, der andere Interessen verschleiern soll. Die Ansichten des Reichsführers zu diesem Thema sind mir wohlbekannt; aber der Reichsführer kommt, wie du, aus einem sehr engstirnigen katholischen Milieu; trotz der Lauterkeit seiner nationalsozialistischen Gesinnung hat er sich von einigen seiner katholischen Vorurteile nicht befreien können, und so wirft er Dinge in einen Topf, die nicht zusammengehören. Und du weißt wohl, wenn ich katholisch sage, meine ich jüdisch, jüdische Gesinnung. Richtig verstanden, gibt es nichts in unserer Weltanschauung, was gegen die Männerliebe spricht. Ganz im Gegenteil, und ich kann es dir beweisen. Du hast vielleicht bemerkt, dass sich der Führer selbst nie zu der Frage geäußert hat.« – »Trotzdem, nach dem 30. Juni hat er Röhm und die anderen wegen ihrer widernatürlichen Praktiken entschieden verurteilt.« – »Für unsere deutschen Spießer, die vor allem Angst haben, war das ein gewichtiges Argument, das wusste der Führer genau. Aber was du vielleicht nicht weißt – vor dem 30. Juni hat der Führer Röhms Verhalten immer verteidigt; aus den Reihen der Partei gab es viele Kritiker, aber der Führer weigerte sich, auf sie zu hören, er hielt den Lästermäulern entgegen, dass die Partei kein Internat fürhöhere Töchter, sondern eine Kampforganisation sei.« Partenau lachte schallend. »Nach dem 30. Juni«, fuhr ich fort, »als sich herausstellte, dass viele von Röhms Komplizen, wie Heines zum Beispiel, auch seine Liebhaber waren, befürchtete der Führer, die Homosexuellen könnten einen Staat im Staate bilden, eine Geheimorganisation wie die Juden, die ihre eigenen Interessen verfolgen könnte und nicht die des Volkes, einen ›Orden des dritten

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