Die Wohlgesinnten
Herbst, als ich nach Charkow gekommen war, hatte der Führer seinen Erlass »Zur Reinhaltung von SS und Polizei« ausgegeben, dem zufolge jeder Angehöriger der SS oder der Polizei , der mit einem anderen Mann Unzucht trieb oder sich von ihm zur Unzucht mißbrauchen ließ, mit dem Tode bestraft wurde. Um Mißverständnisse zu vermeiden , war der Führererlass nicht veröffentlicht worden, aber wir vom SD waren davon in Kenntnis gesetzt worden. Ich persönlich hielt das eher für hohle Rhetorik; tatsächlich gab es selten Probleme, wenn man sich auf Diskretion verstand. Entscheidend war, dass man sich einem persönlichen Feind gegenüber keine Blöße gab; aber ich hatte keine persönlichen Feinde. Jedenfalls war Partenau sicherlich von der übersteigerten Rhetorik des Schwarzen Korps und anderer SS-Publikationen beeinflusst. Doch wenn man ihm den erforderlichen weltanschaulichen Rahmen liefern könnte, dann, so sagte mir meine Intuition, würde der Rest von allein kommen.
Es bestand auch keine Notwendigkeit zu besonderer Subtilität:Es genügte, methodisch vorzugehen. Bei klarem Wetter gingen wir nachmittags manchmal in der Stadt spazieren, flanierten in den engen Gassen oder auf den palmengesäumten Seepromenaden, anschließend setzten wir uns in ein Café, um ein Glas Muskateller von der Krim zu trinken, der ein wenig zu lieblich war für meinen Geschmack, aber trinkbar. Auf den Uferwegen begegnete man vor allem deutschen Soldaten, gelegentlich in weiblicher Begleitung; außer einigen Tataren oder Ukrainern mit der weißen Hiwi-Armbinde sah man keine einheimischen Männer; im Januar hatte die Wehrmacht nämlich die gesamte männliche Bevölkerung evakuiert, zuerst in Durchgangslager, dann in den Generalbezirk Nikolajew: zweifellos eine radikale Lösung des Partisanenproblems, andererseits war einzusehen, dass man bei all den verwundeten oder rekonvaleszenten Soldaten kein Risiko eingehen konnte. Vor Beginn des Frühjahrs gab es nicht viel Zerstreuung, abgesehen von einer gelegentlichen Theateroder Kinovorstellung, die die Wehrmacht veranstaltete. In Jalta schlafen sogar die Bazillen ein , schrieb Tschechow, doch mir sagte diese Atmosphäre träger Langeweile zu. Gelegentlich schlossen sich uns einige andere junge Offiziere an, und wir setzten uns auf eine Terrasse am Meer. Wenn vorhanden – die Zuteilungen aus den beschlagnahmten Vorräten vollzogen sich nach unergründlichen Gesetzen –, bestellten wir eine Flasche Wein; neben dem Muskateller gab es einen roten Portwein, ebenso lieblich, aber zum Klima passend. Stets kreisten die Gespräche um das Schicksal der so traurig ihrer Männer beraubten einheimischen Frauen; und Partenau schien das nicht kaltzulassen. Von lautem Lachen begleitet, sprach einer der Offiziere, der besonders keck war, junge Mädchen an und forderte sie radebrechend auf, sich uns anzuschließen; manchmal erröteten sie und gingen weiter, manchmal setzten sie sich zu uns; dann beteiligte sich Partenau munter an einer Unterhaltung, die sich im Wesentlichenauf Gebärden, Lautmalereien und vereinzelte Wörter beschränkte. Ich musste dem ein Ende setzen. »Meine Herren, ich möchte kein Spielverderber sein«, erklärte ich bei einer dieser Gelegenheiten, »aber ich muss Sie auf die Risiken hinweisen, die Sie eingehen.« Ich klopfte einige Male kurz und trocken auf den Tisch. »Beim SD erhalten wir sämtliche Berichte über Zwischenfälle im rückwärtigen Heeresgebiet und werten sie aus. Dadurch gewinnen wir einen Gesamteindruck von den Problemen, den Sie nicht haben können. Ich muss Ihnen sagen, dass Beziehungen zu sowjetischen Frauen, ukrainischen oder russischen, eines deutschen Soldaten nicht nur unwürdig, sondern auch gefährlich sind. Das ist keine Übertreibung. Viele dieser Frauenspersonen sind Jüdinnen, wenngleich als solche nicht erkennbar. Das allein erfüllt schon den Tatbestand der Rassenschande. Aber das ist noch nicht alles. Nicht nur die Jüdinnen, auch die slawischen Frauen stecken mit den Partisanen unter einer Decke; wir wissen, dass sie ihre körperlichen Reize und die Leichtgläubigkeit unserer Soldaten skrupellos ausnutzen, um im Dienst des Feindes Spionage zu betreiben. Sie glauben vielleicht, dass Sie ganz gewiss nichts ausplaudern werden; aber ich darf Ihnen versichern, dass es keine harmlosen Einzelheiten gibt und dass die Arbeit eines Nachrichtendienstes darin besteht, riesige Mosaike aus winzigen Elementen zusammenzusetzen, die, für sich genommen, belanglos sind,
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