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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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erhält eine Schräge, und in die Mitte kommt eine kleine Klappe. Dann ist es leichter zu säubern.« – »Ist er Russe?« – »Wer, Saizew? Der ist Kosak, Herr Hauptsturmführer, von denen haben wir ’n paar.« Ich ging auf die Treppe zurück und steckte mir eine Zigarette an; genau in diesem Augenblick rief man nach mir, und ich musste sie fortwerfen. Müller empfing mich im Beisein von Bierkamp. Ich begrüßte ihn und beschrieb ihm meine Aufgabe in Pjatigorsk. »Ja, ja«, sagte Müller, »der Oberführer hat es mir erklärt.«Sie stellten mir einige Fragen, und ich berichtete ihnen von dem Pessimismus, der bei den Wehrmachtsoffizieren vorzuherrschen schien. Bierkamp zuckte die Achseln: »Die Soldaten sind immer Schwarzseher gewesen. Schon beim Einmarsch ins Rheinland und Sudetenland haben sie geplärrt wie die Waschlappen. Sie haben die Kraft des Führerwillens und des Nationalsozialismus nie begriffen. Doch etwas anderes: Haben Sie schon mal von dieser geplanten Militärregierung munkeln hören?« – »Nein, Oberführer. Worum geht es?« – »Es gibt das Gerücht, der Führer habe für den Kaukasus eine Militärverwaltung anstelle einer Zivilverwaltung gebilligt. Doch wir bekommen keine offizielle Bestätigung. Bei der Heeresgruppe weichen sie uns aus.« – »Ich werde versuchen, mich beim AOK zu erkundigen, Oberführer.« Wir wechselten noch einige Worte, dann verabschiedete ich mich. Im Flur begegnete ich Turek. Er blickte mich geringschätzig und höhnisch an und warf mir eine unerhörte Flegelhaftigkeit an den Kopf: »Ach nee, der Papiersoldat. Du kriegst dein Fett noch ab!« Bierkamp hatte offensichtlich mit ihm gesprochen. Liebenswürdig lächelnd erwiderte ich: »Ich stehe zu Ihrer Verfügung, Hauptsturmführer.« Einen Augenblick lang maß er mich mit wütendem Blick, dann verschwand er in einem Büro. Schau an, sagte ich mir, da hast du dir einen Feind gemacht; war gar nicht so schwierig.
    Beim AOK bat ich um eine Unterredung mit Gilsa und stellte ihm Bierkamps Frage. »Stimmt«, erwiderte er, »davon ist die Rede. Aber die Einzelheiten sind mir noch nicht ganz klar.« – »Und was wird dann aus dem Reichskommissariat?« – »Die Einrichtung des Reichskommissariats wird um einige Zeit verschoben.« – »Und warum sind die Vertreter der Sipo und des SD nicht informiert worden?« – »Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich erwarte noch ergänzende Informationen. Aber wie Sie wissen, gehört diese Frage in die Zuständigkeit der Heeresgruppe. Oberführer Bierkamp müsstesich direkt dorthin wenden.« Ich verließ von Gilsas Büro mit dem Gefühl, dass er mehr wusste, als er sagte. Ich setzte einen kurzen Bericht auf und adressierte ihn an Leetsch und an Bierkamp. Das machte jetzt einen Großteil meiner Arbeit aus: Die Abwehr übermittelte mir nach Gutdünken Kopien von Berichten, die im Allgemeinen die Entwicklung des Partisanenproblems betrafen; ich fügte die Informationen hinzu, die ich mündlich aufgeschnappt hatte, meist während der Mahlzeiten, und schickte das Ganze nach Woroschilowsk; im Austausch erhielt ich andere Berichte, die ich von Gilsa oder einem der anderen Offiziere zukommen ließ. Ähnlich mussten die Berichte über die Tätigkeit des Ek 12, dessen Dienststelle fünfhundert Meter vom AOK entfernt war, zunächst nach Woroschilowsk gesandt werden, um dann, kollationiert mit denen des Sk 10 b (die anderen Kommandos richteten sich in den rückwärtigen Gebieten der 17. Armee ein), wieder teilweise zu mir zurückzukehren, woraufhin ich sie dann dem Ic aushändigte; gleichzeitig unterhielt das Einsatzkommando natürlich unmittelbare Beziehungen zum AOK. Ich hatte nicht übermäßig viel Arbeit, ein Umstand, den ich mir zunutze machte: Pjatigorsk war eine angenehme Stadt, es gab viel zu sehen. In Begleitung des immer neugierigen Voss besuchte ich das Landesmuseum, das etwas unterhalb des Hotels Bristol lag, gegenüber der Post und dem Zwetnik-Park. Seine schönen Sammlungen waren über Jahrzehnte vom Kawkasskoje gornoje obschtschestwo angelegt worden, einer Gesellschaft von Naturforschern, die zwar Laien gewesen waren, aber voller Enthusiasmus. Vieles hatten sie von ihren Reisen mitgebracht: ausgestopfte Tiere, Mineralien, Schädel, Pflanzen, getrocknete Blumen; Grabmale und heidnische Steingötzen; rührende Schwarzweißfotografien, die größtenteils elegante Herren mit Schlips und Kragen und Kreissäge zeigten, wie sie auf einem steil abfallenden Berghang hockten; entzückt fühlte ich

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