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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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leisten. Ich stellte ihm Voss vor: »Ach, Sie sind der Sprachwissenschaftler vom AOK«, sagte Kern. »Vollkommen richtig«, erwiderte Voss amüsiert. »Das trifft sich gut«, sagte Kern, »ich wollte Ihnen gerade einen Fall unterbreiten. Ich habe gehört, dass Sie sich gut mit den Kaukasusvölkern auskennen.« – »Ein wenig«, räumte Voss ein. »Professor Kern lehrt in München«, unterbrach ich. »Er ist Spezialist für die Geschichte des Islams.« – »Ein hochinteressantes Gebiet«, sagte Voss. »Ja, ich habe sieben Jahre in der Türkei gelebt und kenne mich damit aus«, meinte Kern. »Wie sind Sie dann hierhergekommen?« – »Eingezogen wie alle anderen. Ich war schon SS-Angehöriger und korrespondierendes Mitglied des SD, und so bin ich beim Einsatzkommando gelandet.« – »Verstehe. Und Ihr Fall?« – »Eine junge Frau, die man mir gebracht hat. Rothaarig, sehr schön, charmant. Ihre Nachbarn haben sie als Jüdin denunziert. Sie hat mir einen sowjetischen Inlandspass vorgelegt, ausgestellt in Derbent, in dem ihre Nationalität mit tatka angegeben wird. Ich habe in unserer Kartei nachgesehen: Laut unseren Experten sind die Taten mit den Bergjuden gleichzusetzen. Doch die junge Frau hat mir versichert, dass ich mich täuschen würde und dass die Taten ein Turkvolk seien. Ich habe sie mir etwas vorsprechen lassen: Sie hatte einen merkwürdigen Dialekt, nicht ganz leicht zu verstehen,aber es war eindeutig Türkisch. Da habe ich sie gehen lassen.« – »Erinnern Sie sich noch an Wörter oder Wendungen, die sie gebraucht hat?« Es folgte eine lange Unterhaltung auf Türkisch: »Das kann es eigentlich nicht ganz sein«, sagte Voss, »sind Sie sicher?« Und sie begannen von vorn. Schließlich erklärte Voss: »Nach dem, was Sie mir gesagt haben, ähnelt es tatsächlich mehr oder weniger der türkischen Verkehrssprache, die im Kaukasus gesprochen wurde, bevor die Bolschewisten den Unterricht in russischer Sprache zur Pflicht machten. Ich habe gelesen, man habe sich ihrer noch in Dagestan bedient, vor allem in Derbent. Aber alle Völker dort unten sprechen sie. Haben Sie sich den Namen der Frau notiert?« Kern zog ein Notizbuch aus der Tasche und blätterte es durch: »Hier. Zokota, Nina Scholowna.« – »Zokota?« Voss runzelte die Stirn. »Das ist merkwürdig.« – »Es ist der Name ihres Mannes«, erklärte Kern. »Ach so, verstehe. Und sagen Sie mir, wenn sie Jüdin ist, was machen Sie dann mit ihr?« Kern machte ein erstauntes Gesicht: »Nun ja, wir … wir …« Er zögerte sichtlich. Ich kam ihm zu Hilfe: »Sie wird in ein anderes Gebiet umgesiedelt.« – »Verstehe«, sagte Voss. Er überlegte einen Augenblick, dann sagte er zu Kern: »Meines Wissens haben die Taten ihre eigene Sprache, einen iranischen Dialekt, der nichts mit den kaukasischen Sprachen oder den Turksprachen zu tun hat. Es müsste moslemische Taten geben; ob auch in Derbent, das weiß ich nicht, aber ich werde mich erkundigen.« – »Danke«, sagte Kern. »Meinen Sie, dass ich sie hätte dabehalten müssen?« – »Aber nein. Ich bin sicher, dass alles rechtens war.« Kern wirkte beruhigt; offenbar war ihm die Ironie in Vossens letzten Worten entgangen. Wir plauderten noch einen Augenblick, dann verabschiedete er sich. Voss sah ihm verblüfft nach. »Ihre Kameraden sind etwas merkwürdig«, meinte er schließlich. »Wieso?« – »Sie stellen manchmal Fragen, aus denen man nicht recht klug wird.« Ich zuckte die Achseln: »Sie tunihre Arbeit.« Voss schüttelte den Kopf: »Ihre Methoden scheinen mir ein wenig willkürlich zu sein. Aber es geht mich schließlich nichts an.« Er schien ungehalten zu sein. »Wann gehen wir ins Lermontow-Museum?«, fragte ich, um das Thema zu wechseln. »Wann Sie möchten. Sonntag?« – »Wenn das Wetter schön ist, führen Sie mich zum Ort des Duells.«

Über die neue Militärverwaltung waren die unterschiedlichsten und gelegentlich widersprüchlichsten Informationen im Umlauf. General Köstring richtete seine Dienststelle in Woroschilowsk ein. Er war ein schon etwas älterer Offizier, den man reaktiviert hatte, aber meine Gesprächspartner bei der Abwehr versicherten, dass er noch voller Energie sei, und nannten ihn den weisen Marabu. Er war in Moskau geboren, hatte die deutsche Militärmission in Kiew geleitet, 1918 bei dem Hetman Skoropadski, und war zweimal Militärattaché an unserer Botschaft in Moskau gewesen: Infolgedessen galt er als einer der besten deutschen Russlandexperten. Oberst von Gilsa

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