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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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verschaffte mir eine Unterredung mit dem neuen Vertreter des Ostministeriums bei Köstring, Dr. Otto Bräutigam, ehemals Konsul in Tiflis. Mit den runden Brillengläsern, dem gestärkten Kragen und der braunen Uniform mit dem goldenen Parteiabzeichen fand ich ihn etwas steif; er blieb distanziert, fast kühl, machte aber einen besseren Eindruck auf mich als die meisten Goldfasanen. Gilsa hatte mir erklärt, dass er einen wichtigen Posten in der politischen Abteilung des Ministeriums bekleide. »Ich bin sehr froh, Sie kennenzulernen«, sagte ich ihm bei der Begrüßung. »Vielleicht können Sie ein wenig zur Klärung der Angelegenheit beitragen.« – »Ich habe Brigadeführer Korsemann in Woroschilowsk getroffen und eine längere Unterredung mit ihm gehabt. Ist die Einsatzgruppe nicht eingehend informiert worden?« – »Oh, sicherlich! Aber wenn Sie ein paar Minuten Zeit haben, würde ich mich gern mit Ihnen darüber unterhalten, weil mich dieseFragen sehr interessieren.« Ich führte Bräutigam in mein Büro und bot ihm zu trinken an; er lehnte höflich ab. »Ich könnte mir vorstellen, dass das Ostministerium enttäuscht war über die Entscheidung, die Einrichtung des Reichskommissariats hinauszuschieben?«, begann ich. »Keineswegs. Ganz im Gegenteil, wir halten die Entscheidung des Führers für eine einzigartige Gelegenheit, die verhängnisvolle Politik zu korrigieren, die wir in diesem Land betreiben.« – »Wieso?« – »Sie müssen wissen, dass die beiden gegenwärtig amtierenden Reichskommissare ernannt worden sind, ohne dass man Minister Rosenberg zu Rate gezogen hatte, und dass das Ostministerium so gut wie keinen Einfluss auf sie hat. Es ist also nicht unsere Schuld, wenn die Gauleiter Koch und Lohse nach Belieben schalten und walten; die Verantwortung tragen diejenigen, die sie unterstützen. Deren unbedachte und abwegige Politik ist es, die dem Ministerium seinen Ruf als Chaostministerium eingetragen hat.« Ich lächelte; er aber blieb ernst. »In der Tat«, sagte ich, »ich bin ein Jahr lang in der Ukraine gewesen, und die Politik des Reichskommissars Koch hat uns nicht wenige Probleme bereitet. Man könnte sagen, dass er den Partisanen einen sehr großen Zulauf verschafft hat.« – »Genau wie Gauleiter Sauckel und seine Sklavenjäger. Das wollen wir hier vermeiden. Sehen Sie, wenn wir die kaukasischen Stämme behandeln, wie die Ukrainer behandelt worden sind, erheben sie sich und gehen in die Berge. Dann kommen wir damit nie zu Rande. Die Russen haben im vorigen Jahrhundert dreißig Jahre gebraucht, um den Imam Schamil zu unterwerfen. Und das, obwohl die Rebellen nur ein paar Tausend Männer zählten; um sie niederzuwerfen, mussten die Russen dreihundertfünfzigtausend Soldaten aufmarschieren lassen!« Nach einer Pause fuhr er fort: »Minister Rosenberg und die politische Abteilung seines Ministeriums vertreten seit Anfang des Feldzugs eine klare politische Linie: Nur ein Bündnis mit den von den Bolschewistenunterdrückten Völkern des Ostens wird dem Reich erlauben, das stalinistische System endgültig zu vernichten. Bislang hatte diese Strategie, diese Ostpolitik, wenn Sie so wollen, noch keinen Anklang gefunden; der Führer hat stets die Leute unterstützt, die glauben, Deutschland könne diese Aufgabe ganz allein erledigen, indem es die Völker unterdrückt, die es befreien sollte. Der designierte Reichskommissar Schickedanz scheint ihnen trotz seiner alten Freundschaft mit dem Minister voll und ganz beizupflichten. Doch besonnene Vertreter der Wehrmacht, vor allem Generalquartiermeister Wagner, wollten im Kaukasus eine Wiederholung des ukrainischen Desasters verhindern. Ihre Lösung, die Region unter militärischer Kontrolle zu belassen, begrüßen wir, zumal General Wagner ausdrücklich Wert darauf gelegt hat, die besonders weitblickenden Vorhaben des Ministeriums zu berücksichtigen, wie meine Anwesenheit hier beweist. Für uns wie für die Wehrmacht ist das eine einzigartige Chance zu beweisen, dass die Ostpolitik der allein gangbare Weg ist; wenn wir hier Erfolg haben, bietet sich uns vielleicht die Möglichkeit, die in der Ukraine und im Ostland angerichteten Schäden wiedergutzumachen.« – »Es steht also viel auf dem Spiel«, meinte ich. »Ja.« – »Und der designierte Reichskommissar Schickedanz war nicht zu sehr gekränkt, aufs Abstellgleis geschoben zu werden? Auch er genießt Unterstützung.« Bräutigam machte eine abfällige Handbewegung; seine Augen glänzten hinter den

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