Die Wohlgesinnten
mich an dasArbeitszimmer meines Vaters erinnert: eine ganze Wand mit großen Schmetterlingskästen, die Hunderte von Exemplaren enthielten, jedes beschriftet mit dem Ort und Datum des Fangs, dem Namen des Sammlers, dem Geschlecht und wissenschaftlichen Namen des Schmetterlings. Sie kamen aus Kislowodsk, Adygien, Tschetschenien, sogar aus Dagestan und Adsharien; die Daten waren 1923, 1915, 1909. Am Abend gingen wir gelegentlich ins kürzlich von der Wehrmacht wiedereröffnete Teatr operetty , ein weiteres Fantasiegebäude, an dem rote Keramikkacheln mit Reliefs von Büchern, Musikinstrumenten und Girlanden prangten; anschließend dinierten wir in der Messe, in einem Café oder im Kasino, das nichts anderes war als das ehemalige Restaurant, in dem Petschorin Mary getroffen und wo, wie einer russischen Gedenktafel zu entnehmen war, die Voss mir übersetzte, Lew Tolstoi seinen fünfundzwanzigsten Geburtstag gefeiert hatte. Die Sowjets hatten daraus ein Staatliches Balneologisches Zentralinstitut gemacht; die Wehrmacht hatte die eindrucksvolle Inschrift auf dem Frontispiz gelassen, wo sie in Goldbuchstaben über massiven Säulen prunkte, das Gebäude aber wieder seiner ursprünglichen Bestimmung zugeführt. Nun konnte man hier trockenen Wein aus Kachetien trinken und Schaschliks essen, manchmal gab es auch Wild. Dort stellte ich Voss Hohenegg vor, und sie verbrachten den Abend damit, in fünf Sprachen die Herkunft von Krankheitsnamen zu erörtern.
Mitte des Monats trug ein Schreiben der Gruppe etwas zur Klärung der Lage bei. Der Führer hatte tatsächlich für den Kuban-Kaukasus die Einrichtung einer Militärverwaltung unter der Heeresgruppe A, geleitet vom General der Kavallerie Ernst Köstring, gebilligt. Das Ostministerium ordnete zwar dieser Verwaltung einen hochrangigen Beamten bei, doch die Schaffung des Reichskommissariats war auf unbestimmte Zeit verschoben. Noch überraschender war der Umstand,dass das OKH der Heeresgruppe A befohlen hatte, autonome Territorialeinheiten für die Kosaken und die verschiedenen Bergstämme zu bilden; die Kolchose sollten aufgelöst, die Zwangsarbeit verboten werden: Es war das genaue Gegenteil unserer Politik in der Ukraine. Das erschien mir zu intelligent, um wahr zu sein. Ich wurde eiligst zu einer Besprechung nach Woroschilowsk befohlen: Der HSSPF wollte die neuen Erlasse erörtern. Alle Kommandochefs waren anwesend, zumeist mit ihren Stellvertretern. Korsemann wirkte beunruhigt. »Merkwürdig ist, dass der Führer diese Entscheidung schon Anfang August getroffen hat; ich persönlich bin aber erst gestern von ihr in Kenntnis gesetzt worden. Unbegreiflich.« – »Offenbar fürchtet das OKH eine Einmischung der SS«, meinte Bierkamp. »Aber warum denn?«, jammerte Korsemann. »Unsere Zusammenarbeit ist doch ordentlich.« – »Die SS hat viel Zeit darauf verwandt, gute Beziehungen zum designierten Reichskommissar zu pflegen. Im Augenblick ist die ganze Mühe für die Katz.« – »In Maikop«, warf Schultz ein, Braunes Nachfolger, den man wegen seines Fetts Eisbein-Paule nannte, »heißt es, die Wehrmacht gebe die Kontrolle über die Erdöleinrichtungen nicht aus der Hand.« – »Ich möchte Sie auch darauf hinweisen, Brigadeführer«, fügte Bierkamp, an Korsemann gewandt, hinzu, »dass diese ›örtlichen Selbstverwaltungen‹, wenn sie denn ausgerufen werden, die Polizeigewalt auf ihrem Gebiet ausüben. Aus unserer Sicht ist das unannehmbar.« Auf diese Weise ging die Diskussion noch eine Weile fort; die allgemeine Auffassung schien zu sein, dass die SS regelrecht reingelegt worden war. Schließlich wurden wir mit der Aufforderung entlassen, so viele Informationen wie möglich zu sammeln.
In Pjatigorsk begann ich zu einigen Offizieren des Kommandos leidliche Beziehungen zu knüpfen. Hohenegg war wieder fort, und außer den Offizieren der Abwehr sah ichpraktisch nur Voss. Abends traf ich gelegentlich im Kasino SS-Offiziere. Turek sprach natürlich nicht mit mir; was Dr. Müller anging, so war ich, seit ich ihn öffentlich hatte erklären hören, er möge den Gas-Lkw nicht, weil er die Exekution durch Erschießungskommandos sehr viel angenehmer fände, zu der Überzeugung gelangt, dass wir uns nicht viel zu sagen hatten. Doch unter den Subalternoffizieren befanden sich ganz anständige Menschen, auch wenn sie häufig Langweiler waren. Eines Abends, als ich mit Voss einen Kognak trank, trat Obersturmführer Dr. Kern zu uns, und ich forderte ihn auf, uns Gesellschaft zu
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