Die Wohlgesinnten
Brillengläsern: »Niemand hat ihn um seinen Rat gebeten. Im Übrigen ist der designierte Reichskommissar Schickedanz viel zu sehr damit beschäftigt, die Pläne seines künftigen Palastes in Tiflis zu studieren und mit seinen Leuten die Zahl der erforderlichen Portale zu erörtern, als dass er sich, wie wir anderen, in die Einzelheiten der Verwaltung vertiefen könnte.« – »Verstehe.« Ich überlegte einen Augenblick: »Noch eine Frage. Wie sehen Sie bei dieser Lage der Dinge die Rolle von SS und Sipo?« –»Die Sicherheitspolizei hat natürlich wichtige Aufgaben zu erfüllen. Die müssen aber mit der Heeresgruppe und der Militärverwaltung koordiniert werden, damit sie nicht mit den positiven Initiativen kollidieren. Um es deutlich zu sagen, wir müssen, wie ich es Brigadeführer Korsemann vorgeschlagen habe, eine gewisse Rücksichtnahme im Umgang mit den Minderheiten – den Bergvölkern und den Kosaken – walten lassen. Es gibt unter ihnen sicherlich Elemente, die mit den Kommunisten kollaboriert haben, aber das geschah eher aus nationalistischer als bolschewistischer Überzeugung – um die Interessen ihres Volkes zu wahren. Wir müssen sie nicht von Amts wegen als Kommissare oder stalinistische Funktionäre behandeln.« – »Und was halten Sie vom Judenproblem?« Er hob die Hand: »Das ist etwas anderes. Natürlich bleibt die jüdische Bevölkerung eine der Hauptstützen des bolschewistischen Systems.« Er stand auf, um sich zu verabschieden. »Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit genommen haben, diese Punkte mit mir zu erörtern«, sagte ich, als ich ihm auf der Außentreppe die Hand gab. »Aber ich bitte Sie. Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir zur SS ebenso gute Beziehungen unterhalten wie zur Wehrmacht. Je besser Sie verstehen, was wir hier beabsichtigen, desto besser werden sich die Dinge entwickeln.« – »Seien Sie versichert, dass ich für meine Vorgesetzten einen entsprechenden Bericht aufsetzen werde.« – »Sehr schön! Hier meine Karte. Heil Hitler!«
Als ich Voss von dieser Unterhaltung erzählte, fand er sie ausgesprochen komisch. »Das war höchste Zeit! Nichts bringt den Verstand so auf Trab wie der Misserfolg.« Wir hatten uns, wie verabredet, am späten Sonntagvormittag vor der Feldkommandantur getroffen. Eine Gruppe Straßenjungen drängte sich an den Absperrungen, fasziniert von den dort geparkten Motorrädern und einem Schwimmwagen. »Weg da, ihr Partisanen!«, brüllte ein Soldat der Kommandantur, der vergeblich versuchte, sie mit Stockhieben zu vertreiben;kaum hatte er sie zur einen Seite davongejagt, liefen sie auf der anderen wieder zusammen, und der Mann geriet schon außer Atem. Auf dem Weg zum Museum erklommen wir die steile Steigung der Karl-Marx-Straße, während ich die Zusammenfassung von Bräutigams Ausführungen beendete. »Besser spät als nie«, kommentierte Voss, »aber nach meiner Meinung wird das nicht klappen. Wir haben zu viele schlechte Angewohnheiten angenommen. Diese Geschichte mit der Militärverwaltung ist nur eine Gnadenfrist. In sechs oder zehn Monaten müssen sie passen, und dann strömen all die Schakale, die jetzt noch am Gängelband geführt werden, herbei, die Schickedanzens, die Körners, der Sauckel-Einsatz, und dann gehen die Schweinereien wieder los. Sehen Sie, unser Problem ist, dass wir keine koloniale Tradition haben. Schon vor dem Weltkrieg haben wir unsere afrikanischen Besitzungen sehr schlecht geführt. Und danach hatten wir überhaupt keine Besitzungen mehr, und die wenige Erfahrung, die wir in den Kolonialverwaltungen gesammelt haben, war verloren. Vergleichen Sie es nur mit den Engländern: Schauen Sie sich an, mit welchem Geschick und Fingerspitzengefühl sie ihr Empire regieren und ausbeuten. Sie können sehr gut die Peitsche anwenden, wenn es sein muss, aber sie bieten zunächst immer das Zuckerbrot an und greifen nach dem Einsatz der Peitsche auch sofort wieder zum Zuckerbrot. Sogar die Sowjets haben es im Grunde genommen besser gemacht als wir: Trotz ihrer Brutalität ist es ihnen gelungen, ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen, das ihr Reich zusammenhält. Die Truppen, die uns die Schlappe am Terek beigebracht haben, rekrutierten sich vor allem aus Georgiern und Armeniern. Ich habe mit armenischen Gefangenen gesprochen: Sie fühlen sich als sowjetische Bürger und kämpfen vorbehaltlos für die UdSSR. Wir haben ihnen nichts Besseres anzubieten gewusst.« Wir waren am grünen Tor des Museums angekommen, ich klopfte. Nach einigen
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