Die Wohlgesinnten
Minuten wurdeetwas weiter oben das Haupttor einen Spalt breit geöffnet, in dem ein alter Bauer mit faltigem Gesicht und Mütze erschien, der Bart und die schwieligen Finger gelb gefärbt vom Machorka. Nach ein paar Worten mit Voss zog er das Tor etwas weiter auf. »Er sagt, das Museum sei geschlossen, aber wenn wir möchten, könnten wir es besichtigen. Einige deutsche Offiziere würden hier in der Bibliothek wohnen.« Das Tor öffnete sich auf einen kleinen gepflasterten Hof, der von schmucken, weiß gekalkten Gebäuden eingefasst war; rechts hatte man auf einem Schuppen noch eine Etage mit Außentreppe errichtet, dort befand sich die Bibliothek. Dahinter erhob sich der Maschuk, allgegenwärtig, massiv, an seiner Ostflanke klebten Wolkenfetzen. Links, etwas tiefer, war ein kleiner Garten zu sehen, mit einem Weinspalier, und weitere Gebäude mit Strohdächern. Voss stieg die Treppe zur Bibliothek hinauf. Drinnen nahmen lackierte Holzregale so viel Platz ein, dass man sich kaum durchschlängeln konnte. Der Alte war uns gefolgt; ich gab ihm drei Zigaretten; sein Gesicht hellte sich auf, aber er blieb an der Tür stehen, um uns zu beaufsichtigen. Voss betrachtete die Bücher in den Vitrinen, fasste aber nichts an. Mein Blick blieb an einem kleinen Lermontow-Porträt in Öl hängen, einer sehr hübschen Arbeit: Lermontow trug einen roten Dolman, reich mit Epauletten und Goldborten verziert, seine Lippen waren feucht, die Augen erstaunlich unruhig, unschlüssig zwischen Wut, Angst oder wildem Spott schwankend. In einem anderen Winkel hing noch ein Porträt, ein Stich, unter dem ich mit Mühe eine kyrillische Inschrift entziffern konnte: Es war Martynow, Lermontows Mörder. Voss versuchte eine der Vitrinen zu öffnen, aber sie war verschlossen. Der Alte sagte etwas zu ihm, und sie diskutierten ein wenig. »Der Konservator ist geflohen«, übersetzte Voss für mich. »Eine der Angestellten hat die Schlüssel, aber sie ist heute nicht da. Schade, sie haben schöne Sachen.« – »Sie werden wiederkommen«– »Bestimmt. Kommen Sie, er wird uns Lermontows Haus öffnen.« Wir durchquerten den Hof und den kleinen Garten, um zu einem der niedrigen Häuser zu gelangen. Der Alte stieß die Tür auf; drinnen war es dämmrig, aber das Licht, das durch die Öffnung fiel, reichte aus. Die Wände waren weiß gekalkt, das Mobiliar einfach; es gab schöne orientalische Teppiche und kaukasische Säbel, die an Nägeln hingen. Ein schmaler Diwan wirkte sehr unbequem. Voss war vor einem Schreibtisch stehen geblieben und strich mit den Fingern liebevoll über die Platte. Der Alte erklärte ihm noch etwas. »An diesem Tisch hat er Ein Held unserer Zeit geschrieben«, übersetzte Voss nachdenklich. »Hier?« – »Nein, in Sankt Petersburg. Als das Museum gegründet wurde, hat die Regierung den Tisch hierherschicken lassen.« Mehr gab es nicht zu sehen. Draußen verschleierten Wolken die Sonne. Voss dankte dem Alten, ich gab ihm noch einige Zigaretten. »Wir sollten wieder herkommen, wenn jemand da ist, der alles erklären kann«, sagte Voss. »Ach ja«, fügte er am Tor hinzu, »ich habe vergessen, es Ihnen zu sagen: Professor Oberländer ist hier.« – »Oberländer? Aber den kenne ich doch. Ich bin ihm in Lemberg begegnet, zu Beginn des Feldzugs.« – »Umso besser. Ich wollte Ihnen vorschlagen, mit ihm zu Abend zu essen.« Auf der Straße ging Voss nach links, zur großen gepflasterten Allee, die am Lenin-Standbild begann. Der Weg stieg noch an, ich geriet schon außer Atem. Statt von der Allee in Richtung Äolsharfe und Akademiegalerie abzubiegen, ging Voss geradeaus weiter, am Maschuk entlang, auf einer Chaussee, der ich noch nie gefolgt war. Der Himmel wurde rasch dunkel, ich befürchtete, dass es regnen würde. Wir kamen an einigen Sanatorien vorbei, dann endete der Asphalt, und wir gingen auf einem breiten unbefestigten Weg weiter. Wir begegneten kaum noch jemandem: Ein Bauer auf einem Karren kam uns entgegen, in das Klirren des Geschirrs mischte sich das Brüllen seinesOchsen und das Knarren der schlecht eingepassten Räder; danach blieb die Straße verlassen. Ein Stück weiter war linker Hand ein gemauerter Torbogen in die Bergwand eingelassen. Wir traten näher und kniffen die Augen zusammen, um die Dunkelheit zu durchdringen; ein mit einem Vorhängeschloss gesichertes schmiedeeisernes Gitter versperrte den Zutritt zu dem schlauchartigen Gang. »Das ist der Prowal«, erläuterte Voss. »Am Ende ist eine Grotte unter freiem Himmel
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