Die Wohlgesinnten
Oberhaupt der Deutschen, Adolf Hitler, sei; Köstring dankte ihm und versicherte, das Pferd werde man dem Führer nach Winniza in der Ukraine überbringen. Dann nahmen junge Kaukasier in traditioneller Tracht Köstring und Bräutigam unter den Hochrufen der Männer, den schrillen Schreien der Frauen und unentwegt krachenden Gewehrschüssen auf ihre Schultern. Rot vor Freude und hingerissen betrachtete Voss das Ganze. Wir folgten der Menge: Am Ende des Feldes belud eine kleine Armee von Frauen lange Tische, die man unter Sonnensegeln aufgestellt hatte, mit Lebensmitteln. Unvorstellbare Mengen Hammelfleisch, das man mit Brühe servierte, köchelten in großen gusseisernen Kesseln; es gab auch gekochtes Huhn, wilden Knoblauch, Kaviar und Manty, eine Art kaukasische gefüllte Teigwaren; die karatschaiischen Frauen, einige von ihnen waren bezaubernd und fröhlich, setzten den Gästen unaufhörlich neue Schüsseln vor; die jungen Burschen drängten sich abseits zusammen und flüsterten erbost, während die älteren an den Tischen saßen und aßen. Köstring und Bräutigam tafelten mit den Alten unter einem Baldachin, vor dem kabardinischen Pferd, das man vergessen zu haben schien und das, seine Leine hinter sich herziehend, unter dem Gelächter der Zuschauer an den Speisen schnüffelte. Kaukasische Musiker sangen lange Klagelieder, die sie auf ziemlich schrillen Saiteninstrumenten begleiteten; später kamen Rhythmusinstrumente hinzu, die Musik wurde heftiger, wilder, es bildete sich ein großer Kreis, und die jungenMänner tanzten unter Anleitung eines Zeremonienmeisters die Lesginka, elegant, prächtig und männlich, dann noch andere Tänze, unter anderem Messertänze, mit verblüffender Virtuosität. Alkohol wurde nicht ausgeschenkt, doch der größte Teil der deutschen Gäste, vom Fleisch und den Tänzen erhitzt, war wie berauscht, hochrot, verschwitzt, überreizt. Besonders gelungene Tanzdarbietungen belohnten die Karatschaier mit Gewehrschüssen, was die Erregung auf den Höhepunkt trieb. Das Herz klopfte mir im Halse; wie Voss schlug ich Hände und Füße im Takt und schrie wie besessen im Kreis der Zuschauer. Bei Anbruch der Nacht wurden Fackeln gebracht, und man machte weiter; wer zu erschöpft war, kehrte an die Tische zurück, um Tee zu trinken und ein wenig zu essen. »Das haben die Ostpolitiker fein hingekriegt!«, rief ich Voss zu. »Das dürfte alle überzeugen.«
Doch von der Front kamen keine guten Nachrichten. Obwohl der Wehrmachtsbericht täglich das Gelingen eines entscheidenden Durchbruchs meldete, saß die 6. Armee laut Abwehr im Stadtzentrum Stalingrads hoffnungslos fest. Die aus Winniza zurückkehrenden Offiziere berichteten, dass im Führerhauptquartier eine miserable Stimmung herrsche und der Führer nicht mehr mit den Generalen Keitel und Jodl spreche, er sie von seiner Tafel verbannt habe. Düstere Gerüchte machten in Militärkreisen die Runde, von denen Voss mir gelegentlich berichtete: Der Führer sei mit den Nerven am Ende, er bekomme Wutanfälle und treffe widersprüchliche, unsinnige Entscheidungen; die Generalität verliere das Vertrauen. Das war sicherlich übertrieben, aber ich fand den Umstand, dass sich solche Gerüchte im Heer verbreiteten, beunruhigend und ging unter der Rubrik Moral der Wehrmacht darauf ein. Hohenegg war zurück, aber seine Tagung fand in Kislowodsk statt, und ich hatte ihn noch nicht zu Gesicht bekommen; nach einigen Tagen schickte er mir eine kurze Mitteilung, in der er mich zum Abendessen einlud.Voss hatte sich zum III. Panzerkorps in Prochladny versetzen lassen; von Kleist bereitete eine neue Offensive in Richtung Naltschik und Ordshonikidse vor, und Voss wollte aus möglichst großer Nähe daran teilnehmen, um die Bibliotheken und Institute zu sichern.
Am selben Morgen kam ein Leutnant Reuter mit einem Auftrag Gilsas in meine Dienststelle: »Wir haben einen seltsamen Fall, den Sie sich ansehen sollten. Ein alter Mann, der von allein zu uns gekommen ist. Er erzählt merkwürdige Geschichten und sagt, er sei Jude. Der Oberst hat vorgeschlagen, dass Sie ihn befragen.« – »Wenn er Jude ist, müssen Sie ihn dem Kommando überstellen.« – »Vielleicht. Aber wollen Sie ihn sich nicht mal ansehen? Ich versichere Ihnen, er ist erstaunlich.« Eine Ordonnanz brachte den Mann: einen hochgewachsenen Greis mit langem weißem Bart, augenscheinlich noch gut bei Kräften; er trug eine schwarze Tscherkesska, Stiefeletten aus geschmeidigem Leder und die Holzschuhe der
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