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Die Wohlgesinnten

Die Wohlgesinnten

Titel: Die Wohlgesinnten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Littell
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trinken, hätte ihn fast wieder hinausgeprustet. Auch ich konnte kaum an mich halten. Oberländer verstand immer noch nicht und begann ärgerlich zu werden: »Ich begreife nicht, wovon Sie sprechen«, sagte er schroff. Ich bemühte mich um eine Erklärung: »Das ist ein kaukasisches Volk, das von den Russen deportiert wurde. In die Türkei. Früher beherrschte es einen Teil dieser Region.« – »Waren es Mohammedaner?« – »Ja, natürlich.« – »In diesem Falle wäre die Unterstützung dieser Ubychen durchaus im Sinne unserer Ostpolitik.« Voss erhob sich mit rotem Kopf, murmelte eine Entschuldigung und verschwand in Richtung Toiletten. Verwirrt fragte Oberländer: »Was ist denn mit dem los?« Ich klopfte mir auf den Bauch. »Ach so, verstehe«, sagte er. »Das kommt hier häufig vor. Wo war ich stehen geblieben?« – »Unsere proislamische Politik.« – »Ja. Wohlgemerkt, das ist traditionelle deutsche Politik. Uns geht es hier in gewisser Weise um eine Fortsetzung von Ludendorffs panislamischer Politik. Weil wir die kulturellen und sozialen Errungenschaften des Islams respektieren, gewinnen wirwertvolle Bundesgenossen. Außerdem nehmen wir so Rücksicht auf die Türkei, die trotz allem wichtig bleibt, vor allem wenn wir den Kaukasus umgehen wollen, um die Engländer in Syrien und Ägypten von hinten zu fassen.« Voss kam zurück; er schien sich beruhigt zu haben. »Wenn ich Sie richtig verstehe«, sagte ich, »scheint es darum zu gehen, die Völker des Kaukasus und insbesondere die turksprachigen Völker zu einer riesigen islamisch-antibolschewistischen Bewegung zu einen.« – »Das ist eine Option, aber man hat sie an höherer Stelle noch nicht akzeptiert. Einige befürchten ein Wiederaufleben des Panturanismus, der die Türkei mit einer zu großen Machtfülle in der Region ausstatten und unsere Stellung in den eroberten Gebieten schwächen könnte. Minister Rosenberg setzt eher auf eine Achse Berlin–Tiflis. Doch dahinter steckt der Einfluss dieses Nikuradze.« – »Und was halten Sie davon?« – »Im Augenblick schreibe ich gerade einen Artikel über Deutschland und den Kaukasus. Sie wissen vielleicht, dass ich nach Auflösung des Bataillons Nachtigall als Abwehroffizier beim Reichskommissar Koch tätig gewesen bin, einem alten Freund aus Königsberger Tagen. Aber er hält sich fast nie in der Ukraine auf, und seine Untergebenen, vor allem Dargel, haben eine unverantwortliche Politik betrieben. Deshalb habe ich den Posten aufgegeben. In meinem Artikel versuche ich zu beweisen, dass wir in den eroberten Gebieten auf die Mitarbeit der einheimischen Bevölkerung angewiesen sind, um allzu große Verluste beim Einmarsch und der Besetzung zu vermeiden. Eine proislamische oder proturanische Politik würde sich gut in diesen Rahmen fügen. Natürlich muss eine Macht, und zwar eine einzige, das letzte Wort haben.« – »Ich dachte, ein Ziel unseres Einmarsches in den Kaukasus sei es, die Türkei zum Kriegseintritt an unserer Seite zu bewegen?« – »Natürlich. Und wenn wir in den Irak oder nach Persien gelangen, werden sie es auch sicherlich tun. Saracoglu ist vorsichtig, aber erwürde sich nicht die Chance entgehen lassen, alte osmanische Gebiete zurückzugewinnen.« – »Aber würde das nicht unseren Großraum beeinträchtigen?« – »Überhaupt nicht. Wir streben ein Kontinentalreich an; wir haben weder den Wunsch noch die Mittel, uns mit fernen Besitzungen zu belasten. Natürlich werden wir die Erdölfördergebiete am Persischen Golf behalten, aber den ganzen Rest des britischen Nahen Ostens können wir der Türkei überlassen.« – »Und was würde die Türkei im Gegenzug für uns tun?«, fragte Voss. »Sie könnte uns sehr nützlich sein. Sie hält eine strategische Schlüsselposition inne und kann uns See- und Landstützpunkte bieten, die uns ermöglichen würden, der britischen Präsenz im Mittleren Osten endgültig ein Ende zu setzen. Sie könnte auch Truppen für die antibolschewistische Front stellen.« – »Ja«, sagte ich, »sie könnte uns beispielsweise ein ubychisches Regiment schicken.« Wieder wurde Voss von einem unbezwingbaren Lachanfall gepackt. Ungehalten sagte Oberländer: »Was um Himmels willen soll diese Geschichte mit den Ubychen? Ich verstehe das nicht.« – »Wie gesagt, eine Obsession von Dr. Voss. Er ist verzweifelt, weil er einen Bericht nach dem anderen schreibt, aber niemand im Oberkommando an die strategische Bedeutung der Ubychen glauben will. Hier interessiert man

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