Die Wohlgesinnten
sich nur für die Karatschaier, die Kabardiner und Balkaren.« – »Aber warum lacht er dann?« – »Genau, Dr. Voss, warum lachen Sie?«, fragte ich ihn streng. »Vermutlich ein nervöses Leiden«, meinte ich zu Oberländer. »Hier, Dr. Voss, trinken Sie einen Schluck Wein.« Voss trank einen Schluck und versuchte sich zu beherrschen. »Ich verstehe zu wenig von dieser Frage, um mir ein Urteil erlauben zu können«, meinte Oberländer.« Er wandte sich an Voss: »Wenn Sie Berichte über diese Ubychen haben, würde ich sie sehr gern lesen.« Nervös schüttelte Voss den Kopf und sagte: »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, Herr Dr. Aue, wenn Sie das Thema wechseln könnten.« – »Wie Siewünschen. Außerdem kommt das Essen.« Es wurde serviert. Oberländer wirkte gereizt; Voss war hochrot. Um der Unterhaltung eine andere Richtung zu geben, fragte ich Oberländer: »Sind Ihre Bergmänner tüchtig in der Bandenbekämpfung?« – »Im Gebirge sind sie zum Fürchten. Einige bringen uns jeden Tag Köpfe oder Ohren. In flachem Gelände sind sie kaum nützlicher als unsere eigenen Truppen. Sie haben einige Dörfer in der Umgebung von Mosdok niedergebrannt. Ich habe versucht, ihnen zu erklären, dass das, systematisch praktiziert, keine gute Idee ist, aber das ist wie ein atavistischer Reflex. Und dann hat es ziemlich ernste disziplinarische Probleme gegeben: vor allem Fahnenflucht. Offenbar haben sich viele von ihnen nur verpflichtet, um nach Hause zurückkehren zu können; seit wir im Kaukasus sind, gehen sie ununterbrochen stiften. Aber ich habe alle, die wir erwischt haben, vor den Augen der anderen erschießen lassen: Ich glaube, das hat sie ein wenig zur Vernunft gebracht. Außerdem sind viele Tschetschenen und Dagestaner bei mir, und deren Heimat ist noch in bolschewistischer Hand. Haben Sie übrigens von einem Aufstand in Tschetschenien gehört? In den Bergen?« – »Es gibt Gerüchte«, erwiderte ich. »Eine der Einsatzgruppe angegliederte Sondereinheit wird versuchen, Agenten per Fallschirm abzusetzen, um Kontakt mit den Aufständischen herzustellen.« – »Ach, das ist ja sehr interessant. Es scheinen Kämpfe und grausame Strafaktionen stattzufinden. Damit könnten sich unseren Truppen gewisse Möglichkeiten eröffnen. Wie kann ich mehr darüber erfahren?« – »Ich würde mich an Oberführer Bierkamp in Woroschilowsk wenden.« – »Sehr schön. Und hier? Haben Sie viele Probleme mit den Partisanen?« – »Nicht allzu viele. Es gibt einen Haufen, der bei Kislowodsk sein Unwesen treibt. Das Kommando Lermontow. Hier gehört es zum guten Ton, alles Lermontow zu nennen.« Voss lachte, ganz herzlich jetzt: »Sind sie aktiv?« – »Nicht sonderlich. Sie treiben sich in den Bergenherum und trauen sich nicht herunter. In erster Linie sammeln sie Nachrichtenmaterial für die Rote Armee. Beispielsweise lassen sie Kinder die vor der Feldkommandantur abgestellten Kräder und Lastwagen zählen.« Wir beendeten das Essen; Oberländer dozierte wieder über die Ostpolitik und die neue Militärverwaltung: »General Köstring ist eine sehr gute Wahl. Ich glaube, mit ihm hat das Experiment Aussicht auf Erfolg.« – »Kennen Sie Dr. Bräutigam?«, fragte ich. »Herrn Bräutigam? Natürlich. Wir treffen uns häufig zum Gedankenaustausch. Ein sehr engagierter, intelligenter Mann.« Oberländer trank seinen Kaffee aus und entschuldigte sich. Wir grüßten, Voss begleitete ihn hinaus. Ich wartete auf seine Rückkehr und rauchte eine Zigarette. »Sie waren unmöglich«, sagte er, während er wieder Platz nahm. »Warum denn?« – »Das wissen Sie sehr gut.« Ich zuckte die Achseln: »Das war doch nicht so schlimm.« – »Oberländer musste denken, dass wir uns über ihn lustig gemacht haben.« – »Im Grunde genommen haben wir das ja auch. Nur würde er sich das nie eingestehen. Sie kennen doch die Professoren genauso gut wie ich. Würde er seine Unkenntnis in der ubychischen Frage zugeben, würde er seinen Ruf als ›Lawrence von Kaukasien‹ aufs Spiel setzen.« Wir verließen jetzt ebenfalls das Kasino. Es nieselte. »Da ist er«, sagte ich mehr zu mir selbst, »der Herbst.« Ein Pferd, das vor der Feldkommandantur angebunden war, wieherte und schnaubte. Die Posten hatten ihre Planen übergezogen. Das Wasser rann die abschüssige Karl-Marx-Straße in Bächen hinab. Der Regen wurde heftiger. Wir trennten uns vor unseren Unterkünften und wünschten uns gute Nacht. In meinem Zimmer öffnete ich die Balkontür und lauschte lange
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